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DDR-Aufarbeitung: Die Schlüsselrolle des IM Genua

Systematisch ausspioniert: Ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit hat dem DDR-Geheimdienst offenbar jahrelang Zugang zu Behörden, Hotels und Wohnungen in West-Berlin verschafft.

Ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit hat dem DDR-Geheimdienst in direktem Wortsinn die Türen wichtiger West-Berliner Einrichtungen geöffnet. Der selbstständige Schlosser Bernhard Sch. lieferte als „IM Genua“ von 1975 bis 1989 die Schlüssel für Polizeiwachen, Hotels und Wohnungen. Auch Schlüssel zur Kanzlei von Rechtsanwalt und Ex-Innensenator Wolfgang Büsch (SPD) hat er für die DDR-Auslandsaufklärung gefertigt. Büsch war 1967 gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) nach dem Tod des linken Demonstranten Benno Ohnesorg zurückgetreten. Der Student war vom 2009 ebenfalls als IM enttarnten West-Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen worden.

Der Schlüssellieferant der Stasi passte ins West-Berlin der 70er Jahre genauso gut wie in einen Agentenroman. Er war einer von vielen, die sich vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit kaufen ließen. Seine Geschichte zeigt, wie die Stasi den Westteil der Stadt erforschen ließ. Sie zeigt aber auch, wohin es führt, wenn ein Nachrichtendienst mehr sammelt, als er verarbeiten kann.

Was der Schlosser Bernhard Sch. der Stasi alles geliefert hat, findet sich jetzt in einem langen Bericht des „Zeit-Magazins“ dargestellt. Die DDR-Auslandsaufklärung hatte zu „IM Genua“ seit 1970 Kontakt. Ab 1975 – der Mann war damals Mitte 30 – soll er als Agent tätig gewesen sein. Der Schlosser hatte angeblich finanzielle Sorgen – er hielt sich offenbar selbst für einen abstiegsbedrohten Mittelständler und ging deshalb auf die finanziellen Angebote von Mitarbeitern der Stasi ein. Dort hielt man ihn jedenfalls nicht für einen DDR-Sympathisanten.

„IM Genua“ fertigte für das DDR-Sicherheitsmuseum zum Beispiel einen Schlüssel für das Ost-Berliner ARD-Fernsehstudio. Dass das so nötig war, bezweifelt allerdings der damalige ARD-Korrespondent in der DDR, Lothar Loewe. Er sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben die Schlüssel zu unserem Studio und meiner Dienstwohnung in der Leipziger Straße ohnehin von den DDR-Behörden bekommen. Ein West-Berliner IM war zum Kopieren der Schlüssel nicht nötig.“

Loewe berichtete auch, er habe gewusst, dass die Stasi ihn und andere westliche Journalisten observierte. Der Reporter wohnte in der Leipziger Straße in Mitte, das ARD-Studio befand sich nicht weit entfernt in der Schadowstraße. „Meine Frau hatte aber auch das Gefühl, dass unsere Wohnung in Wilmersdorf von Unbekannten besucht wurde, wenn sie zu mir nach Ost-Berlin kam“, sagte Loewe, der demnächst 81 Jahre alt wird. Die DDR hatte ihn 1974, nach Abschluss des Grundlagenvertrags, als Fernsehkorrespondenten aus dem Westen akkreditiert. 1976 wurde Loewe ausgewiesen.

Dass „IM Genua“ tatsächlich den einen Generalschlüssel für alle West-Berliner Polizeireviere beschaffen konnte, wie es im „Zeit-Magazin“ heißt, bezweifelt der damalige Polizeipräsident Klaus Hübner. Einen solchen Einheitsschlüssel habe es nicht gegeben, sagte Hübner dieser Zeitung. Und der von „IM Genua“ gelieferte Generalschlüssel für alle Notrufsäulen? Hübner fragt zurück, was der Schlüssel denn bringen sollte. Damit wäre man allenfalls an ein polizeiinternes Telefon gelangt – und mit der nächsten Wache verbunden worden. Ohnehin sei doch bekannt gewesen, sagte Hübner, dass die Stasi mithörte, wo es ging. Dass etwa Anrufe von seinem Diensttelefon automatisch mitgeschnitten wurden, habe er immer gewusst.

Interessant an „IM Genua“ ist allerdings die schiere Menge des Materials, das er geliefert hat. Die Geschichte erinnert ein wenig an den bekanntesten West-IM der Stasi überhaupt – den Berliner Polizisten Karl-Heinz Kurras. Bevor Kurras für die Stasi wertlos wurde, weil er den linken Studenten Benno Ohnesorg im Dienst erschoss, hatte er das Ministerium mit Listen, Plänen, Bildern, Organigrammen und Namen beliefert – und auch mit Hinweisen auf mögliche Wohnungen westlicher Nachrichtendienste.

„IM Genua“ lieferte die Schlüssel zu einer ganz bestimmten Adresse, dem Savoy-Hotel in der Fasanenstraße. Die Wahl des Hotels in der Fasanenstraße dürfte kein Zufall gewesen sein, sondern einen politischen Hintergrund haben. Denn das 1930 eröffnete Traditionshaus mit 125 Zimmern galt als beliebtes Quartier für einflussreiche Geschäftsleute, vor allem aber für Mitarbeiter westlicher Geheimdienste, die den Prunk des nahen Bristol Kempinski scheuten und auf besondere Diskretion bedacht waren.

Der frühere Direktor Hans Eilers erinnert sich daran, dass aus der vorbeifahrenden S-Bahn einmal Flugblätter geworfen wurden, auf denen das Savoy als „Hauptquartier der CIA“ bezeichnet wurde. Er sagte, das Hauptquartier sei es sicher nicht gewesen, aber er halte es für wahrscheinlich, dass viele Geheimdienstler unter den Gästen waren. Vermutlich wurde das Hotel auch vom Bundesnachrichtendienst genutzt. Zur Eröffnung 1930 hatte das Haus als komfortabelstes Hotel der ganzen Stadt gegolten.

Zur Zeit der Wende seien im Haus mehrere Diebstähle aus verschlossenen Zimmern aufgefallen, sagte Ex-Direktor Eilers. Und auf die Anzeigen habe sich ein Beamter des Bundeskriminalamts gemeldet, der den Hintergrund offenbar schon kannte. Ihm zufolge war der Schlosser etwa Mitte der 70er Jahre durch Stasi-Geld in die Lage versetzt worden, die Konkurrenz zu unterbieten und sich damit die Kundschaft auszusuchen. Das Savoy habe das günstige Angebot angenommen und bis zur Wende nicht bemerkt, dass irgendein Außenstehender im Besitz der Schlüssel sein könnte. Die Schließanlage ist nach dem Gespräch mit dem Bundeskriminalamt durch ein Magnetkartensystem ersetzt worden.

Ganz neu ist die Geschichte von „IM Genua“ übrigens nicht: Der Fall des Schlossers Sch. wurde zuletzt 2008 in der Zeitschrift „Horch und Guck“ erwähnt, im Zusammenhang mit dem von der Stasi schwer drangsalierten Autor Jürgen Fuchs. Der soll sich auch im Westen vor der Stasi nicht sicher gefühlt haben – wegen Spitzeln wie „Genua“.

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