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Hohenschönhausen

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DDR-Geschichte: Neuer Name für Stasi-Gedenkstättenpreis?

Ärger um einen neuen Preis der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen: Der Namensgeber soll nach jüngsten historischen Erkenntnissen eine veritable NS-Vergangenheit gehabt haben. Nun streiten sich Land und Gedenkstätten-Verein über den Namen.

Der Preis der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen soll dieses Jahr erstmals vergeben werden. Vielleicht wird nie vergeben - zumindest nicht unter dem Namen Walter-Linse-Preis. Denn es gibt einen handfesten Streit zwischen dem Förderverein der Gedenkstätte und dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Martin Gutzeit. Anlass ist eine Expertise der Historiker und Publizisten Klaus Bästlein und Alexander Sachse, in der die Bedenken von Gutzeit gegen Linse wegen dessen NS-Vergangenheit als berechtigt angesehen werden. Gedenkstätte und Förderverein warfen daraufhin den Autoren eine "interessengeleitete" Studie vor. Sie war im Auftrag des Landesbeauftragten erstellt worden.

Bästlein und Sachse hatten unter Verweis auf ihre neuen Geschichts- und Quellenforschungen Linse vorgeworfen, in der Zeit des Nationalsozialismus für die Arisierung oder Liquidierung von mehr als 300 jüdischen Betrieben mitverantwortlich zu sein. "Linse war eklatant Täter im Nationalsozialismus und nicht nur ein einfacher Mitläufer", sagte Bästlein. Er stützte damit die Vorbehalte des Landesbeauftragten gegen den Namensgeber des Gedenkstättenpreises. Dem widersprach die Gedenkstätte, deren Fördervereinsvorsitzender Jörg Kürschner eine "unabhängige Prüfung" ankündigte.

Nach bisherigen Plänen will die Gedenkstätte den 1952 von der DDR-Staatssicherheit entführten und später in Moskau zum Tode verurteilten Linse (1903-1953) zum Namensgeber des mit 5000 Euro dotierten Preises zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur machen. Kürschner betonte, nach der Veröffentlichung wolle man sich nun um eine "seriöse Bewertung der Gesamtbiografie von Walter Linse bemühen".

Zwiespältiger Namenspatron

Bästlein hatte zuvor Linse als Hauptverantwortlichen der IHK Chemnitz für die Arisierung jüdischer Betriebe in der NS-Zeit bezeichnet: "Er war der Mann, der eine jahrzehnte- oder jahrhundertelange Tradition der Textilproduktion und des Textilhandels in Sachsen beseitigt hat." Nach den ersten Vorwürfen hatte bereits der Vorstand des Fördervereins der Gedenkstätte die für dieses Jahr geplante erstmalige Vergabe des Linse-Preises ausgesetzt, um die möglichen Verstrickungen aufarbeiten zu lassen. Man sei sich einig, dass jemand, der in der NS-Diktatur Schuld auf sich geladen habe, nicht Namensgeber für den Preis sein könne, hieß es.

Den jetzt erfolgten Quellenforschungen von Bästlein und Sachse zufolge war Linse seit September 1938 an der Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz für die Arisierung zuständig und hat bis 1941/42 "mindestens 300 jüdische Betriebe liquidiert oder arisiert". Damit sei er auch verantwortlich für die Vernichtung wirtschaftlicher Existenzen. Zudem lasse sich ein in anderen Linse-Biografien erwähnter Widerstand gegen den Nationalsozialismus für den 1940 der NSDAP beigetretenen Juristen "nicht belegen".

Gedenkstätten-Direktor: Studie nicht ausreichend

Der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, hält indes auch nach den neuen Geschichtsforschungen eine Umbenennung des umstrittenen Walter-Linse-Preises nicht für notwendig. Die Historiker-Expertise sei "nicht ausreichend, um zu einer abschließenden Entscheidung zu kommen", sagte er. Deshalb könne er dem Förderverein noch nicht empfehlen, den bisherigen Namensgeber des Preises auszusondern. Auch für Kürschner sind die Historiker-Vorwürfe vielfach nicht belegt.

Zwar liegt die Entscheidung über den Namenspatron des Gedenkstätten-Preises in Verantwortung des Fördervereins. Doch sah sich Gutzeit durch Bästlein und Sachse in seiner Kritik bestätigt. Aufgrund der Expertise halte er es "nicht für sinnvoll", Linse "zur Ikone zu machen".

André Spangenberg[ddp]

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