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Für manche Nicht-Muslima ein Bild, das zwiespältige Gefühle weckt: Bei einer Pro-Mursi-Demonstration in Berlin bilden Frauen eine eigene Sektion.

© dpa

Debatte zur Integration: Ich bin ein Gutmensch, aber ...

Ja, sie haben es schwer, die Kinder und Enkel der Einwanderer in Neukölln und anderswo. Für vieles, was schiefläuft, tragen wir alle Verantwortung. Doch manchmal müssen auch Wohlmeinende einfach mal meckern.

Ich bin ein Gutmensch, ich darf das, ich darf auch mal meckern. Ich bin jemand, der es als ausgrenzend empfindet, wenn junge Berliner als Ausländer bezeichnet werden, nur weil ihre Eltern oder Großeltern mal von woandersher kamen und als Gastarbeiter Berlin mit aufgebaut haben. Ich finde Deutsche, die auf Mallorca leben und kein Wort Spanisch können, ignorant. Ich durfte schon viel von der Welt sehen, mich haben Glücksgefühle durchströmt bei Begegnungen mit Menschen in Oman und Marokko, in Polen, auf Samoa und den Kapverden. Ich beneide vermeintlich ärmere Länder um die Herzenswärme, die sie uns Industrienationen voraushaben. Ich fühle mich trotzdem privilegiert und bin dankbar, in Nordeuropa geboren worden zu sein, in diesem demokratischen Land mit seinem Sozial- und Gesundheitswesen, in einer toleranten Hauptstadt.

Ein Gefühl, nackter als im FKK-Bereich

Ich ertappe mich dabei, dass ich anfange, meine Stadt und ihr Lebensgefühl beschützen zu wollen. So bunt und offen, wie sie ist, so soll sie bitte bleiben. Ich glaube, ich werde in und mit ihr langsam alt. Noch gehe ich aber in kurzen Hosen und Tanktop-T-Shirt shoppen, erst recht im herrlichen Berliner Sommer. Dabei war ich als Sparfuchs öfter in den Neukölln Arcaden und auch neugierig in der Karl-Marx-Straße unterwegs. Und fühlte mich nackter als im FKK-Bereich am Wannsee. Inmitten verschleierter Frauen kam ich mir vor wie ein leichtes Mädchen.

Ich erinnerte mich, wie ich so luftig gekleidet mal durch Dubai lief, unbekümmert, mit Ende 20. Seitdem trage ich in muslimisch oder katholisch geprägten Regionen respektvoll langärmelig. In Berlin dachte ich in jenem Moment inmitten der Muslima, die ich um den Halt, den ihnen der Glaube gibt, manchmal sogar beneide: Ich wünschte mir, es würden sich mehr Frauen und Männer auf die Lebenswelt ihrer Wahlheimat Berlin einlassen. So wie die arabischstämmigen Schuhverkäuferinnen in Nordneukölln, die mich im besten Deutsch freundlich beim Sandalenkauf berieten.

Manchmal hupe ich!

Für manche Nicht-Muslima ein Bild, das zwiespältige Gefühle weckt: Bei einer Pro-Mursi-Demonstration in Berlin bilden Frauen eine eigene Sektion.
Für manche Nicht-Muslima ein Bild, das zwiespältige Gefühle weckt: Bei einer Pro-Mursi-Demonstration in Berlin bilden Frauen eine eigene Sektion.

© dpa

Vor einer Woche sah ich eine Demo auf der Sonnenallee. Da dachte ich erst, so viele muslimische Frauen, hunderte mit Kopftuch und unter Schleiern, sie gehen auf die Straße, emanzipiert! Sie riefen auf Deutsch Parolen für Mursi in Ägypten. Hinter Demo-Teil eins, den Frauen, folgten als Teil zwei, auf Abstand, die Männer. Da spürte ich dreierlei. Erstens: Aus meiner Sicht ist es unpassend, dass sie getrennt gehen. Zweitens: Gut, dass mein Heimatland auch solche Demos erlaubt und sichert. Und drittens: Jeder Asylbewerber in Hellersdorf muss vor menschenverachtenden Rechtsextremen geschützt werden.

Junge Heißsporne auf der Sonnenallee

Ich gehe auch auf die Barrikaden. Gegen die Niederschlagung des Protests auf dem Taksim-Platz. Für Frieden in Gaza und Israel. Daneben bin ich aber auch, ganz profan, für Frieden auf Berlins Straßen. Mich ärgert, wenn junge Heißsporne in Marken-Boliden das Pedal auf der engen Sonnenallee durchdrücken und mit neunzig Sachen rechts überholen. Es könnten auch ihre Angehörigen auf die Straße treten! Manchmal hupe ich dann, blende auf. Zuletzt bremste mal wieder ein am Kopf seitlich rasiertes Hormonpaket ab, setzte sein Auto neben mich und baute sich bedrohlich hinterm Steuer auf. Wow, mutig!

Ausraster, die den Feinden in die Hände spielen

Liebe Jungs der dritten und vierten Generation: Ich weiß, ihr habt es schwer. So oft erlebtes Vorab-Misstrauen in dem Land, das euch Heimat sein sollte, macht rasend. Und ich weiß auch, dass es solche wie euch auch in „biodeutsch“ gibt, und arabisch- oder türkischstämmige Jungs, die ganz anders sind. Aber derartige Ausraster arbeiten euren Feinden in die Hände! Und obwohl ich weiß, dass die Verwahrlosung der Jungmänner ebenso wie der rigide Traditionalismus, der sich bei den Frauen zeigt, teils auch Produkte der deutschen Integrationspolitik sind: Manchmal wünsche ich mir grad als Gutmensch, ihr würdet euch in meinem alten Heimatbezirk etwas weniger vorurteilsbestätigend präsentieren.

Aber es gibt ja Hoffnung: Jüngst trat ich auf zwei Männer zu, die am U-Bahnhof Rathaus Neukölln ohne Not ihre Zigarettenschachtel auf die Erde warfen. Ich dachte: Wie kriegst du die jetzt? „Sie müssen bitte immer Gentlemen sein für die Ladys“, sagte ich, lächelte und zeigte auf den Müll. Erst guckten sie böse, dann sagte der eine: Sie haben ja recht.

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