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Berlin: Dem Berliner als solchem ist alles die gleiche Plörre, deshalb trinkt er Weiße mit Schuss - meint Thomas Karlauf

Die Asiaten Kommenl. Nicht nur Goethes Faust soll zur nächsten Buchmesse auf Indonesisch erscheinen, auch das kleine Wein-Büchlein, das ich im letzten Herbst veröffentlicht haben, wird zur Zeit ins Chinesische übersetzt.

Die Asiaten Kommenl. Nicht nur Goethes Faust soll zur nächsten Buchmesse auf Indonesisch erscheinen, auch das kleine Wein-Büchlein, das ich im letzten Herbst veröffentlicht haben, wird zur Zeit ins Chinesische übersetzt. Chinesen? fragen meine Freunde erstaunt, die trinken doch nur Reiswein. Da kennen meine Freunde die Chinesen aber schlecht.

Mit den Chinesen ist es nämlich anders als mit den Berlinern. Die meisten Berliner können in der Tat eine deutsche Beerenauslese kaum von Sake unterscheiden und finden beides ziemlich klebrig. Weil die Weinstöcke auf dem Kreuzberg nur mühsam gedeihen, trinkt man an der Spree lieber Weiße mit Schuss und überlässt die Eigengewächse den Damen und Herren des Senats.

Kurz und gut: Die Logistik des Nachschubs, das zentrale Problem jedes Weinfreundes, ist in Berlin alles in allem noch ein wenig komplizierter als andernorts. Wir sind hier in der dunkelsten Diaspora. Glücklich, wer an Rhein und Main, an Nahe und Mosel Verwandschaft hat. Da findet sich doch immer eine Tante, die Geburtstag feiert, ein Onkel, dem man schon längst einen Wochenendbesuch abstatten wollte. Ich jedenfalls komme von keiner Reise auf die bessere Seite der Welt - ich meine die Welt südlich des 50. Breitengrads, wo die Weingrenze verläuft - ohne ein paar Kisten mit tropischem Traubensaft zurück.

Jagdtrophäen. Als sei man auf Großwildjagd in Afrika gewesen, fährt man zurück Richtung Norden, das Elfenbein im Kofferraum. Bei all den herrlichen Flaschen aus Forst und Wachenheim, aus Rauenthal und Hochheim, vom Hermannsberg, vom Scharzhofberg, vom Doctorberg, handelt es sich jedoch keineswegs um Fetische. Sie werden früher oder später geköpft, entsprechend der Devise: Nur ein getrunkener Wein ist ein guter Wein. Und spätestens wenn die jeweils letzte aus dem Keller geholt wird, macht Melancholie sich breit. Wenn Wein die Lauge der Erinnerungen ist, verlieren wir mit jedem Schluck ein Stück Vergangenheit.

Nun bin ich in diesem Frühjahr umgezogen und verfüge seither leider über keinen geeigneten Keller mehr (auch der letzte ließ bereits zu wünschen übrig). An manchen Tagen kletterte das Thermometer auf über 20 Grad. Um zu verhindern, dass meine Vorräte verderben, muss ich ihnen jetzt eifrig hinterher trinken, die Flaschen also schneller öffnen, als es meiner Gesundheit zuträglich und dem Reifegrad der Weine angemessen ist. Auf diese Weise trinke ich gegen die Zeit an. Da ich die Jahrtausendwende dennoch nicht werde verhindern können, behalte ich mir für diese Nacht ein paar Flaschen übrig. Im neuen Jahrhundert, das ohnehin den Chinesen gehören wird, gehe ich dann über zu Sake mit Schuss.Thomas Karlauf, Berliner Literaturagent und Autor, hat in der dtv-Reihe "Kleine Philosophie der Passionen" über Wein geschrieben.

Thomas Karlauf

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