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Kiez im Wandel. Die Degewo hat auf das Altern ihrer Mieter mit vielen Angeboten reagiert.

© Kai-Uwe Heinrich

Demographischer Wandel: Bald sehen wir alt aus

Bis ins Jahr 2030 wird sich die Zahl der über 80-Jährigen in Berlin nahezu verdoppelt haben. Wie sich das auf das städtische Leben auswirkt, kann man schon heute in manchen Quartieren sehen.

Die Kneipe an der Ecke steht schon länger leer. Der Montessori-Kinderladen plakatiert in rosa Schrift „Wir suchen noch Kinder“. Dafür wirbt nebenan eine Pflegeeinrichtung für „Hilfe im Alter“ und einige Meter weiter bietet ein Fachgeschäft den An- und Verkauf von antiken Uhren, Gold und Silber an. Ein hochbetagter Mann schiebt mit langsamen Schritten seinen Rollator über den Gehweg. Er ist nicht der einzige, der an diesem Vormittag trotz des regnerischen Wetters auf der Barfusstraße in Wedding unterwegs ist. Und etliche von ihnen sind längst ergraut.

Mit Familienhochburgen und In-Vierteln wie dem Helmholtz- und Bötzowkiez in Prenzlauer Berg hat das Englische Viertel in Wedding wenig zu tun – scheinbar. Doch auch in diese gutbürgerliche Weddinger Gegend rund um den Schillerpark sind vor 40, 50 oder gar 60 Jahren viele junge Eltern mit ihren Kindern eingezogen. „Damals waren hier die Spielplätze voll und Seniorenhäuser brauchte es keine, heute ist es andersherum“, sagt eine Anwohnerin, die vor kurzem ihren 78. Geburtstag gefeiert hat und seit 49 Jahren am Schillerpark lebt. Wie ihre Kinder sind auch die der anderen Erstmieter schon lange aus dem Haus, aus den jungen Eltern von einst sind Alte geworden. Seniorengerecht ausgestattete Wohnungen gibt es hier nicht, nur Altbauten ohne Fahrstuhl – und trotzdem bleiben sie. „Ich fühle mich mit dieser Gegend tief verbunden. Da nehme ich das beschwerliche Treppensteigen eben in Kauf, so lange es irgendwie geht“, sagt die Erstmieterin. Sie hätte viele Wünsche für den mit ihr alt gewordenen Kiez: kleine Begegnungscafés und Freizeitangebote etwa oder eine organisierte Nachbarschaftshilfe.

So weit voneinander entfernt sind das Englische Viertel und etwa der Bötzowkiez mit seinen vielen jungen Familien also gar nicht – aus zeitlicher Sicht geschätzte 40 Jahre. Wie wird sich ein solches Viertel mit seiner heute relativ jungen, homogenen Altersstruktur mal entwickeln? Bleiben die jetzigen Kinder wohnen oder ziehen ausreichend junge Menschen nach und werden die heutigen Bewohner als die aktiven „Golden Ager“ von morgen die Lebendigkeit und Attraktivität ihres Kiezes erhalten können? Was geschieht, wenn irgendwann nicht mehr so viele Schulen, Kindergärten und Kitas benötigt werden? Es gibt viele Fragen, aber bisher kaum Antworten. „Das Thema ist spannend und wichtig. Doch bisher haben sich Stadtplaner und Wissenschaftler damit kaum beschäftigt“, sagt Andrej Holm, Stadtsoziologe an der Humboldt-Uni. Nur eins sei relativ sicher: Je heterogener die Bevölkerungsstruktur, um so besser sei das auf lange Sicht für ein Viertel.

Für die Familien im Bötzowkiez mag das Schlagwort von der alternden und schrumpfenden Gesellschaft noch abstrakt wirken. Ebenso wie die demografischen Prognosen des Berliner Senats, dass sich bis 2030 die Zahl der über 80-Jährigen in Berlin nahezu verdoppelt haben wird. „Dabei zeigt das überdurchschnittliche Engagement vieler Bewohner dieser Kieze, dass sie planen, hier lange zu wohnen“, sagt Holm. Die wenigen Senioren, die durch Privatisierung und hohe Mieten noch nicht vertrieben worden sind, kämpfen heute schon für seniorengerechte Erleichterungen wie barrierefreie Kreuzungen und zeigen damit, worauf es in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft ankommen könnte. Einmal im Jahr findet in Prenzlauer Berg ein Runder Tisch von Seniorenvertretern und Hauseigentümern statt, an dem die Senioren unter anderem für altengerechte Wohnungen und den Einbau von Aufzügen eintreten. „Solange die Eigentümer ihre Wohnungen problemlos vermieten können, haben aber leider nur die wenigsten ein offenes Ohr für solche Wünsche“, sagt Helga Hampel, Vorsitzende der Seniorenvertretung Pankow.

Marianne Grabowsky und ihr Mann Manfred leben seit mehr als 40 Jahren im Märkischen Viertel – wie viele ihrer Nachbarn auch.
Marianne Grabowsky und ihr Mann Manfred leben seit mehr als 40 Jahren im Märkischen Viertel – wie viele ihrer Nachbarn auch.

© Ma

Wie ein Wohnumfeld gestaltet sein kann, in dem Menschen gut alt werden können, zeigen in mehreren Quartieren Berlins vor allem die großen Wohnungsunternehmen. So bietet die Degewo unter anderem in der Großsiedlung Marzahn viele seniorengerecht umgebaute Wohnungen und Seniorenwohnhäuser sowie nahe medizinische Betreuung und Hilfen im Alltag an und unterstützt private Träger bei der Gründung von Senioren-WGs. Ein besonders gelungenes Beispiel für ein altersgerechtes Wohnumfeld ist das Märkische Viertel in Reinickendorf, wo die Gesobau rund 15 000 Wohnungen besitzt, von denen viele altengerecht umgebaut sind: Ohne Treppen und gefährliche Schwellen, dafür mit breiten Türen und leicht zugänglichen Steckdosen. Als Marianne Grabowsky 1969 mit ihrem Mann und den beiden Kindern hierher zog, war sie 23. Heute ist sie 65 und will mit ihrem Mann dort wohnen bleiben, wo sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat. „Das Schöne ist, dass hier zahlreiche Angebote für ältere Menschen existieren“, sagt Grabowsky, die im Seniorenbeirat tätig ist. Unter anderem gebe es Sprach-, Sport- und Handarbeitskurse, Ausflugsfahrten, ab Oktober komme noch ein kleines Tanzcafé dazu. 2003 rief die Gesobau das Netzwerk „Märkisches Viertel“ ins Leben, um die Bewohner bei einem selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden zu unterstützen. 2010 wurde außerdem ein Seniorenstadtplan veröffentlicht, der über die Lage von rund 25 Arztpraxen, sieben Rehabilitationseinrichtungen, acht Apotheken und Optikern, sechs Sportzentren, elf Beratungsangebote und ebenso vielen Restaurants und Cafés informiert. Grabowsky fasst den vielleicht größten Vorteil knapp zusammen: „Wer hier nicht allein sein möchte, braucht es nicht“.

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