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So sieht es im Protestcamp aus.

© epd

Demonstration am Brandenburger Tor: Schlafsäcke sind nicht erlaubt

Trotz eisiger Temperaturen harren noch immer mehrere Asylbewerber am Pariser Platz aus. Mit einem Hungerstreik protestieren sie gegen Residenzpflicht, Sammelunterkünfte und Asylpolitik. Die Polizei nahm den Flüchtlingen erneut Schlafsäcke weg. Nun schaltet sich auch die Politik ein.

Eine Fotoreportage vom Camp am

Brandenburger Tor finden Sie unter

www.tagesspiegel.de/berlin

Die Augenlider sind schwer. Mitten im Satz fallen sie zu, während Maiwand erzählt, wie er seit sechs Tagen und Nächten auf dem Pariser Platz ausharrt – ohne zu essen und meist auch ohne Schlaf. Bei eisigen Temperaturen. Der 20-jährige Afghane, der sich wie die meisten hier nur mit seinem Vornamen vorstellt, gehört zu den 20 Asylbewerbern, die am Mittwoch vor dem Brandenburger Tor in den Hungerstreik getreten sind, um gegen die Asylpolitik und die Unterbringung in Sammelunterkünften protestieren. Am Sonntagabend, als die Temperaturen unter null fallen, hat Maiwand sich eine Steppdecke umgehängt. Er starrt ins Leere. „Ihm tut der Bauch weh, ein Polizist hat ihm die Nase gebrochen. Er war im Krankenhaus, hat aber keine Anzeige erstattet“, übersetzt sein Freund Omeaiqbel, 19, ebenfalls aus Afghanistan. Die beiden gehören zu einer Gruppe Asylbewerber, die sich Anfang Oktober in einem Protestmarsch von Würzburg nach Berlin aufgemacht hatten.

Seit Monaten steigen die Flüchtlingszahlen, auch in Berlin. Die vorhandenen Unterkünfte reichen nicht aus. Sozialsenator Mario Czaja (CDU) rechnet für dieses Jahr mit 3500 Asylbewerbern in der Stadt. Die Erstaufnahmestellen in der Motardstraße in Spandau und in der Lichtenberger Rhinstraße sind überlaufen. Rund 900 Plätze in Notunterkünften wurden schon geschaffen; 700 weitere werden laut Czaja kurzfristig noch gebraucht. Platz fanden die Flüchtlinge in einer leer stehenden Grundschule in Heiligensee, in früheren Räumen des Gesundheitsamtes Mitte an der Turmstraße und für kurze Zeit auch in einer Turnhalle in Prenzlauer Berg. „In anderen Bundesländern werden Zelte aufgestellt, das wollen wir nicht“, sagt Silvia Kostner vom Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Die Demonstranten am Brandenburger Tor haben Slogans auf Schirme geschrieben und diese im Kreis aufgestellt: „Kein Mensch ist illegal.“ Oder: „Ich bin ein Zelt.“ Gerade geht es auch darum, wie sie protestieren dürfen. Zurzeit ist eine Kundgebung bis einschließlich 5. November angemeldet. Das bedeutet: demonstrieren – aber ohne Protestcamp mit Zelt, wie zuvor auf dem Oranienplatz in Kreuzberg. Jeder Versuch, eine Isomatte auszubreiten und sich niederzulassen, endet mit einer Konfrontation mit der Polizei, da die sich verpflichtet sieht, die „Auflagen des Versammlungsgesetzes“ durchzusetzen.

In der Nacht siegt oft die Müdigkeit über die Demonstranten. Sie lassen sich auf Müllsäcken nieder, in die sie ihre Habseligkeiten verpackt haben: „Manche Einsatzleiter tolerieren das, aber immer um zwei und sieben Uhr morgens greift die Polizei ein. Man kann die Uhr danach stellen“, sagt Dirk Stegemann von der Kampagne „Zusammen handeln – gegen rassistische Hetze und soziale Ausgrenzung“. Er hat die Kundgebung angemeldet. Eine Polizistin diskutiert mit ihm und Demonstranten: Sie müssten einsehen, dass sie die Straße nicht ohne Sondergenehmigung für ein Camp nutzen dürften.

Unterdessen hat sich Sozialsenator Czaja am Montag an den Baustadtrat in Mitte gewandt, „um zu klären, wie das Vorgehen des Bezirksamtes zu rechtfertigen ist“. Im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses sagte Czaja, „bei den niedrigen Temperaturen ist es aus gesundheitlichen Gründen nicht zu verantworten, dass sich die Menschen auf nackter Erde zu einer Demonstration“ zusammenfinden müssten. Am Nachmittag erklärte Mittes Baustadtrat Carsten Spallek, die Straßenbehörde könne „keine dauerhaften Zeltstädte auf dem Pariser Platz genehmigen“. Natürlich dürften sich die Flüchtlinge dort versammeln, „aber alle Übernachtungsgegenstände müssen als unerlaubte Sondernutzung betrachtet werden.“

Am Montagmorgen war jedenfalls von den ursprünglich 20 Hungerstreikenden nur noch die Hälfte da – aber diese zehn wollen bleiben. Selbst als Czaja ihnen abends eine Unterkunft für die Nacht in einem Gästehaus anbietet, lehnen sie ab. Obwohl die Polizei versichert, sie könnten gleich am Morgen weiterdemonstrieren.

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