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Zwischen Nachdenklichkeit und Polemik. Zwei von einigen tausend, meist christlichen Menschen, die am Sonnabend in Berlin gegen Schwangerschaftsabbrüche, pränatale Diagnostik und Sterbehilfe demonstrierten.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Demonstration der "Lebensschützer": Abtreibungsgegner marschieren durch Berlin

Am Sonnabend wurde viel demonstriert. Vor allem die sogenannten Lebensschützer, die gegen Abtreibung protestieren, polarisieren - sogar die Kirchen.

Von Sandra Dassler

Es ist der Sonnabend der Demonstrationen in Berlin und mancher Tourist findet sich nicht mehr zurecht. „Wofür demonstrieren diese Menschen?“, will ein junger Japaner vor dem Reichstag wissen. „Für das Leben“, antwortet ein kunterbunt gekleideter Mann. Es klingt zynisch.

"Schönen Gruß ins Mittelalter"

Der Japaner versteht gar nichts. „Die hinter der Polizeiabsperrung stehen, sind gegen Abtreibung“, erklärt der bunt Gekleidete. „Und die davor sind dafür?“, fragt der Japaner: „Zumindest sind wir alle hier dafür, dass Frauen selbst bestimmen können, ob sie ein Kind bekommen oder nicht“, sagt der Mann. Und ruft den Demonstranten hinter der Absperrung zu: „Schönen Gruß ins Mittelalter“. Eine junge Frau versteckt sich unter ihrem Regenschirm. „Mein Körper gehört nicht Deutschland“ steht darauf.

Die laut Polizei etwa 6000 Menschen innerhalb der Absperrung lassen sich von den Gegendemonstranten nicht aus der Ruhe bringen. „Wir laden alle ein, sich mit uns auseinanderzusetzen“, sagt der Redner vom Bundesverband Lebensrecht (BVL): „Aber bitte mit Argumenten, nicht mit Exkrementen.“ Tatsächlich hatten kurz zuvor Gegner der Lebensrechtler eine stark nach Exkrementen riechende Flüssigkeit unter den Demonstranten versprüht. Die Polizei schritt schnell ein und nahm mehrere Personen fest.

AfD beteiligte sich

Der „Marsch für das Leben“ findet seit Jahren statt und war stets umstritten – auch weil er von der Alternative für Deutschland (AfD) unterstützt wird. Wie bereits im vergangenen Jahr nahm auch diesmal wieder die stellvertretende AfD-Bundesvorsitzende Beatrix von Storch an dem Protestlauf teil. Die Katholische Kirche hatte sich ebenfalls beteiligt, die Evangelische hingegen nicht.

Die meisten Teilnehmer an diesem Sonnabend wollen aber keine politischen Statements hören, sondern vor allem gegen die „tausendfache Tötung“ von ungeborenen Kindern protestieren. Und darauf aufmerksam machen, dass es nicht selbstverständlich sein sollte, eine Schwangerschaft zu beenden, weil ein Kind möglicherweise krank zur Welt kommt, nicht lange leben wird – oder ein Down-Syndrom hat. Ein Kinderarzt aus Erlangen schildert, dass sich die meisten Eltern, die durch die pränatale Diagnostik erfahren, dass ihr Kind darunter leidet, für eine Abtreibung entschieden. Dabei seien diese Kinder nur anders.

Ein Chromosom mehr - na und?

Zur Bestätigung ergreift eine junge Frau mit Down-Syndrom das Wort. „Es macht mir eigentlich gar nichts aus, dass ich in jeder Zelle ein Chromosom mehr habe als andere“, sagt sie: „Ich lebe und lache gern, arbeite bei der Verkehrspolizei im Büro und meine Freunde wissen, dass ich oft Partys feiere. Ich würde gern allen Frauen sagen, dass sie keine Angst davor haben müssen, ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt zu bringen. Jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes.“

Einige Demonstranten haben selber Kinder mit Down-Syndrom dabei, andere schieben Angehörige in Rollstühlen vor sich her. Auch gegen Sterbehilfe wird demonstriert. Zu den nachdenklicheren Rednerinnen zählt eine Frau, die schildert, wie sie es schaffte, die letzte Zeit mit ihrem todkranken Mann mit sehr viel Liebe zu füllen und sogar Glück durch die intensive Nähe zu empfinden.

Berlin - die "Hauptstadt des Tötens"

Immer wieder wird auf der Tribüne aber auch stark polemisiert. So bezeichnet ein Redner Berlin „angesichts von 9000 Abtreibungen im vergangenen Jahr als Hauptstadt des Tötens“ und fordert, das ungeborene Leben im Bauch der Frauen absolut zu schützen. „Das ist kein Leben im Bauch“, schreit eine junge Gegendemonstrantin: „Das ist nur ein verdammter Fötus.“

Eine junge Frau, die zu den Gegendemonstranten am Anhalter Bahnhof gehört, stören eher die ihrer Ansicht nach frauenfeindlichen Ansichten der Lebensschützer. „Ich finde eine bunte, tolerante und feministische Welt schöner“, sagt sie. Und streichelt mit der Hand über ihren Bauch. In zwei Wochen kommt ihre Tochter zur Welt. Dann marschiert sie mit den anderen Gegnern eines Abtreibungsverbots durch die Berliner Straßen. Einige haben zuvor schon gegen TTIP protestiert. Es ist eben der Sonnabend der Demonstrationen.

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