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Ehrenamtliche Helfer am Lageso in Moabit bei der Essensausgabe für Flüchtlinge.

© AFP / Tobias Schwarz

Demonstration in Berlin-Kreuzberg: Wutschrei gegen Czaja

Ehrenamtliche Helfer protestieren an der Behörde des Sozialsenators, sie fordern mehr Koordination bei der Flüchtlingshilfe.

Es ist High Noon, am Amtssitz des Sozialsenators Mario Czaja (CDU) demonstrieren 200 Bürger für bessere Flüchtlingshilfe. Das Backsteingebäude an der Kreuzberger Oranienstraße, die mit Preußenadlern geschmückte ehemalige Reichsschuldenverwaltung, liegt visavis der Bundesdruckerei, in der schon viele Euros gedruckt wurden. Woher genau das Budget für mehr rettende Staatsmaßnahmen kommen soll, thematisieren die Demonstranten nicht, sie stellen Forderungen. Viele sind seit Tagen, Wochen ehrenamtlich am Moabiter Anlaufbrennpunkt Lageso zur Versorgung Gestrandeter präsent, manche schlafen dort, wenige Stunden die Nacht. Andere Protestierer zeigen schlicht Solidarität oder lokalpolitisches Interesse. „Grenzenlose Menschenhilfe“ proklamiert ein Plakat des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), zwischen Verdi- und Grünen-Fahnen und einer Griechenlandflagge mit rotem Winkel vom Bund der Antifaschisten. „Einführung Krankenkarte jetzt“ und „Anmeldung für Flüchtlinge 24 Stunden“ und „Wer überfordert ist, darf zurücktreten, Herr Czaja!“ steht auf weiteren Postern.

Ralph Ehrlich von der Berliner Aids-Hilfe moderiert und resümiert: Gesundheits-Chip und Dolmetscher müssten sofort gestellt werden. Der Senator solle endlich Ehrenamtliche effektiv koordinieren und Mittel aufbringen, um besonders Engagierte von ihrer Arbeit freizustellen. Mitarbeiter der Czaja-Behörde hätten sich bereits heimlich vor Ort überzeugt, was an der Notaufnahmebasis los sei, Amtsleute und Bürger müssten sich nun an einem Tisch verständigen. „Wir wollen nicht immer vertröstet werden: Einen Tag heißt es, ihr kriegt einen Raum, anderntags wieder nicht.“ Das Aktionsbündnis sei überparteilich, außer Rechten seien alle willkommen. Das Publikum kommentiert: Triller, Buhs, Applaus. Ein kollektiv inszenierter Wutschrei, der nach Kindergeburtstag klingt, hallt hoch hinauf zu den Büros der Sozialverwalter. Ein Wilmersdorfer Anwalt, Özgür Ozata, seit einer Woche dabei, hat viel gespendetes Essen gewaschen. „Wir arbeiten härter als bei Amazon!“ Er artikuliert das Selbstbewusstsein mancher Helfer („Wir sind das Licht in Deutschland“) und attackiert Mario Czaja. Jouanna vom LSVD betont, man müsse, wo Menschen auf der Straße kollabieren, „medizinische Versorgung aus dem Boden stampfen“. Es gebe nachts im Park Familien und missbrauchsbedrohte schwule Männer, die schutzbedürftig seien, die man nicht allein lassen dürfe. Während sie redet, schieben sich, als störend empfunden, durch den Demo-Pulk Räder und Rollstühle: verweisen banal darauf, dass Verteilungskonflikte zwischen Minder- und Mehrheiten ans Eingemachte gehen und durch gute Wünsche kaum zu entschärfen sind.

Mareike, übernächtigt, seit drei Wochen an der Flüchtlingsfront in Moabit, hält die Brandrede: Wir sind, immerhin, jetzt im Gespräch mit der Senatsverwaltung, sagt sie. Aber: Hostel-Gutscheine bedeuten Obdachlosigkeit – bloß keine mehr verteilen! Dass wartende Flüchtlinge nach Nummern aufgerufen werden, die sie nicht verstehen, ist daneben! Und eine Botschaft an die Presse: Hört auf, von Naturkatastrophen, von „Strömen“ und „Wellen“, zu schreiben! Die Gefahr komme nicht von den Asylbewerbern, sondern von rechts. Und bitte: keine Imagekampagnen! Viele profilierten sich nun als Trittbrettfahrer in den Medien mit ihrem Eintreten für Flüchtlinge, „dagegen sind wir auch“.

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