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Berlin: Den Leuten zeigen, dass sie nicht alleine sind

Bewohner von Problemvierteln stumpfen ab. Quartiersmanager greifen ein. Sie beraten Bürger und Firmen vor Ort. Doch es fehlen vor allem Jobs

Tagesspiegel-Autor Peter von Becker traf den Nerv der Leser, als er am vergangenen Sonnabend im Beitrag „Der Proll im Kopf“ die Verwahrlosung der Stadt beschrieb. Zahlreiche Zuschriften zeigen dies. Doch in Problembezirken gibt es auch viele Initiativen, die gegen den Trend ankämpfen. Zum Beispiel das Quartiersmanagement im Reuterkiez.

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Die Angst ging dort um. Jugendliche versammelten sich vor den Hauseingängen und pöbelten wahllos Passanten an. Irgendwann gab es eine Schlägerei. Unter den Randalierern war ein gefährlicher Mehrfachtäter. Die Bewohner setzten den Jugendlichen nichts entgegen. Sie schauten weg und machten einen Bogen um die Gruppe.

Ein typisches Symptom für die Auflösung der Gemeinschaft: keine Solidarität mit Schwächeren, keine Antwort auf Ungerechtigkeit. Um gegenzusteuern, rief das Quartiersmanagement eine „Bewohnerversammlung“ ein. Mit dabei waren Jugendamt, Polizei, Jugendgerichtshilfe und Streetworker. „Die Leute sollten sehen, dass sie nicht allein gelassen werden“, sagt Quartiersmanagerin Luzia Weber. Sie lernten Nachbarn näher kennen sowie die Ansprechpartner in Ämtern und Behörden. An die werden sie sich künftig wenden, ohne „Vergeltung“ von Halbstarken befürchten zu müssen.

Das Projekt war erfolgreich. Die Streetworker wurden vom Bezirk dauerhaft finanziert. Das ist aber keineswegs bei jedem Projekt so. Im Gegenteil, denn das Geld ist knapp. Deshalb winkt Luzia Weber ab bei der Frage, ob die vielen sozialen Projekte und Träger den Menschen nicht alle Verantwortung abnähmen: „Im Reuterkiez leben 18 500 Menschen, so viele wie in einer Kleinstadt. Wir erreichen nur ein Bruchteil davon.“ Von zu viel Betreuung könne keine Rede sein.

Zumal die Zahl derjenigen, die sich außerhalb der Gesellschaft stellen, wächst. Ein Indiz: „Die Wahlbeteiligung liegt hier um etwa zehn Prozent unter dem in Berlin ohnehin schon geringen Wert“, sagt Luzia Weber. Darauf reagiert das Quartiersmanagement mit „aufsuchenden Beratungen“. Frauen mit Migrantenhintergrund werden ausgebildet, um andere Frauen ihres Kulturkreises in deren Wohnung aufzusuchen und Angebote etwa zur Gesundheitsvorsorge von Kleinkindern oder zum Spracherwerb vorzustellen.

Auch Kleinunternehmer bekommen Besuch in ihrem Laden oder ihrer Werkstatt. Zwei Mitarbeiter schauen vorbei in Gemüseläden und Copy-Shops, Bäckereien oder Antiquariaten und bieten Hilfen bei der Unternehmensplanung an. Erfolgreich wirtschaftenden Firmen bieten sie Praktikanten an – und hoffen so die Engpässe am Lehrstellenmarkt zu verringern. Erschreckend ist allerdings, wie viele Jugendliche sich total verweigern: Wie berichtet, lehnen sie Ausbildungs- oder Arbeitsangebote sogar dann ab, wenn ihnen daraufhin das Arbeitslosengeld gestrichen wird.

Bei Langzeitarbeitslosen verhält es sich anders. „Die Älteren haben sich das Träumen von tollen Jobs und tollem Leben abgewöhnt“, sagt ein Berater der Arbeitslosenbetreuung „Tuba“ . Spätestens ab dem Alter von 40 Jahren seien sie nicht mehr wählerisch.

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