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Denkmal für Sinti und Roma eingeweiht: Gedenken am schwarzen Teich

Kanzlerin eröffnet am Reichstag Dani Karavans Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma Planung und Bau hatten 20 Jahre gedauert, überschattet vom internen Streit der Opfergruppen.

Das Ensemble der Gedenkstätten rund ums Brandenburger Tor ist um einen weiteren Ort ergänzt worden. Wer an diesem verhangenen Herbstmittag vom Stelenfeld des Denkmals für die ermordeten Juden in einem Bogen Richtung Reichstag ging, passierte den Betonblock des Denkmals für die verfolgten Schwulen und Lesben. Durch Metallroste im Gehsteig dringt auf diesem Weg U-Bahn-Grollen herauf, wie eine Erzählung aus Untergründen der Geschichte.

Ein paar Meter weiter, an der Straße des 17. Juni, erstreckt sich ein kleiner, nun weiträumig abgesperrter Laubwald, rund hundert Meter vor dem Sowjetischen Ehrenmal, das seinerzeit als erstes Erinnerungsbauwerk errichtet wurde und die zweitgrößte NS-Opfergruppe der getöteten oder verhungerten Kriegsgefangenen aus der UdSSR einschließt. In der Mitte des Wäldchens wurde am Mittwoch das seit 20 Jahren geplante Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma eingeweiht.

Zu den Touristen, die rund um das Security-Areal zwischen Sightseeing-Bussen Orientierung suchen, dringt von der Veranstaltung der Staats- und Kulturrepräsentanten, Opfergruppenvertreter und Medienleute häufiger Applaus hinaus, den sie nicht einordnen können. Ein Berliner schimpft, die Abschottung des wichtigen Ereignisses löse bei gutwilligen Bürgern Aggression aus.

Ein Ehepaar aus Überlingen berichtet an der Wurstbude, man habe erst von der Polizistin erfahren, dass sie nur wegen des Festaktes hier stehe. Die Schwaben vermuten, der Sicherheitsaufwand gelte den Nazi-Opfern, die geschützt werden müssten.

Dass gegenüber dem Reichstag auf zwei Milchglasscheiben Aussagen Helmut Schmidts und Roman Herzogs stehen, die den Völkermord an Sinti und Roma als solchen benennen, befürworten die Besucher: Weil das viele Leute so noch gar nicht wissen! Als eine Frau mit buntem Kopftuch und Betteltext auf einer Pappe plötzlich vor ihr steht, zückt die Reisende ihre Börse.

Im Pulk der Touristen erinnert wenig an die gelegentliche Zigeunerfolklore im Berliner Stadtbild. Rumänische Betteltrupps, wie sie oft nahebei am Großen Stern wartende Autos belagern, sind nicht zu sehen. Am Brandenburger Tor spielt auf einem Tiergartenpfad ein Jüngling in roter Hose melancholisch Trompete, die Sammelmütze vor sich am Boden.

Bedrückend an diesem Tag wirkt dennoch die Kluft zwischen staatstragender Eröffnungsform und der Alltagsrealität fahrender Völker im Europa der Diskriminierungen. Dass die Milchglasscheibe gegenüber dem Reichstag, auf der mit Zitaten deutscher Amtsträger Sinti und Roma als gleichberechtigte Opfergruppe positioniert werden, das markante Aushängeschild des Denkmals sein soll, bezeichnet die Verkantungen im Verlauf der langwierigen Mahnmalentwicklung.

Der Völkermord an Sinti und Roma hat tiefe Spuren hinterlassen

Die Konkurrenz zwischen NS-Opfergruppen, die in der Gesellschaft der Nachgeborenen um Aufmerksamkeit rivalisieren, scheint allerdings zur Stunde ebenso beigelegt zu sein wie der interne Streit zwischen Sinti, Roma und Zigeunern um korrekte Selbstbezeichnung. Solche politischen Aspekte treten dann im Innnenbereich des Denkmals hinter der Poesie der Inszenierung zurück. Dazu gehören Verse des Roma Santino Spinelli:

„Auschwitz.

Eingefallenes Gesicht

Erloschene Augen

Kalte Lippen

Stille

Ein zerrissenes Herz

Ohne Atem

Ohne Worte

Keine Tränen.“

„Der Völkermord an Sinti und Roma hat tiefe Spuren hinterlassen und noch tiefere Wunden", sagt beim Einweihungsakt die Bundeskanzlerin. Das Denkmal halte dem Betrachter einen „Spiegel unendlicher Trauer“ vor sowie die Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten „in jedem einzelnen Falle“.

Der Zeitzeuge Zoni Weisz nennt den Genozid an Sinti und Roma den „vergessenen Holocaust“. Er berichtet, wie er der Deportation entging, aber den Abtransport seiner Familie nach Auschwitz erleben musste. Weisz kritisiert den Umgang mit Sinti und Roma in der Gegenwart, die Gesellschaft habe „fast nichts“ gelernt.

Der Regierende Bürgermeister Wowereit sagt, mit dem Denkmal des israelischen Künstlers Dani Karavan schließe sich eine der letzten Lücken in der Erinnerung an Opfer der Nazidiktatur.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sieht in diesem Kunstwerk den Appell ausgedrückt, Antiziganismus ebenso zu ächten wie Antisemitismus.

In der Mitte des schwarzen Teiches, den Dani Karavan hat bauen lassen, liegt auf einem Dreieck eine Eisenhutblüte. Mit der Öffnung der Sicherheitsschranke mischen sich rund ums Wasser in angeregt nachdenklicher Stimmung internationale Ehrengäste und Zaungäste. Ein Gitarrero posiert für Kameras. Auf Steinplatten im Rasen sind KZ-Namen wie verblichen aufgebracht. Ein Besucherplakat proklamiert die Reizworte „Bleiberecht“ und „Nazi-Verfolgung“.

Auf abschirmenden Milchglasscheiben an der Seite zum „17. Juni“ stehen Fakten über den Völkermord. Das Denkmal liegt in einer Lichtung. Täglich soll die Blume in der Teichmitte untergehen, eine frische Blüte soll dann wieder auftauchen. Aus Boxen, die unter den Büschen versteckt wurden, gellt ein durchdringender Geigenton.

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