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Berlin: Der Alexanderplatz braucht keine Krone aus Wolkenkratzern

Hans Kollhoffs Idealstadtvision der zehn Hochhäuser ist gescheitert. Eine einheitliche Traufhöhe wäre stadtgestalterisch unsinnig – denn der Himmel ist offen.

Der Alex ist nicht der Mittelpunkt der Stadt. Er war und ist seit Döblins Zeiten das große Versorgungs- und Einkaufszentrum des Ostens. In der geteilten Stadt war er nur zeitweilig Zentrum von „Berlin – Hauptstadt der DDR“, Teil der repräsentativen Ost-West-Staatsachse der DDR. Während rundum die Altbauviertel verfielen, strebte die DDR mit dem höchsten deutschen Fernsehturm und dem Forum-Hotel als höchstem Berliner Hochhaus nach „Weltniveau“. In der Mitte des Platzes sehnte sich die Weltzeituhr nach unerreichbar fernen Metropolen. Über die Weite des Platzes aber wehte der Wind der Taiga. In der Begeisterung des Mauerfalls richtete sich der faszinierte Blick der Planer aus dem Westen auf den unbekannten Osten. Dort am Alexanderplatz sollte die Hochhaus-City einer Weltmetropole entstehen, neuer Mittelpunkt und Höhepunkt der wiedervereinigten deutschen Hauptstadt. Dem „alten West-Berlin“, wie es fortan hieß, wurde der Rücken gekehrt.

Heute, zwei Jahrzehnte nach Sanierung und Wiederaufbau der Mitte und des Ostens Berlins, beweist sich das lange Gedächtnis der Stadt. Die historische Wanderung der politischen Mitte nach Westen hat sich fortgesetzt, von der Schlossinsel über die Wilhelmstraße vor das Brandenburger Tor ins neue Regierungsviertel im Spreebogen. Der Bundespräsident residiert im Tiergarten. Die traditionsreiche City West um Kurfürstendamm und Bahnhof Zoo lebt wieder auf und drängt in die Höhe. Eine neue Mittelachse der Metropole spannt sich von Potsdamer und Leipziger Platz mit ihren Türmen und Großbauten zum grandiosen Hauptbahnhof. Dort weist der Finger des Total-Turms in die Zukunft. Über den Airport-Express mit dem Großflughafen verbunden, wird der Hauptbahnhof inmitten von Kanzleramt, Bundestag, Wirtschafts- und Verkehrsministerium zum Tor in die Mitte und zum Central Business District Berlins.

Wie aber konnte man erwarten, dass im Zentrum des ärmeren Berliner Ostens auf Zuruf der Stadtplanung Hochhäuser in den Himmel wachsen? Zehn Türme in einer amtlich vorgeschriebenen einheitlichen Traufhöhe von 150 Metern? War zu erwarten, dass angesichts von De-Industrialisierung und hoher Arbeitslosigkeit im Osten der Stadt der prollige Alex sich zur glanzvollen Hochhaus-City mausert? Immerhin sind nicht nur „Billigheimer“ (Kollhoff) entstanden. Das wiedererrichtete Alexanderhaus von Peter Behrens gehört wie die DDR-Moderne mit Hotelturm, Haus des Lehrers und Kongresshalle für immer zum Alex. Das Centrum-Kaufhaus hat sich durch Kleihues zur eleganten Galeria Kaufhof gemausert. Auch das populäre Shopping Center Alexa ist in seiner schrillbunten Architektur nicht fehl am Platz: Der Alex ist auch die Heimat von Cindy von Marzahn. Da von den zehn Wolkenkratzern bisher nicht einer gebaut wurde, kam jetzt der Vorschlag, die geplante Hochhaus-Silhouette wie eine Hecke von 150 auf 100 Meter zu stutzen – in einheitlicher Traufhöhe! Hochhaus-Citys aber sind keine Versteinerungen architektonischer Idealpläne. Sie sind lebendige globale Marktplätze, dynamische Zentren im Wettbewerb der Metropolen und wandelnder architektonischer Ausdruck von Wachstum und Konkurrenz. In der sozialen Marktwirtschaft gibt die Gesellschaft den ordnenden Rahmen vor, die Kontur des öffentlichen Raums als Ort und Maßstab der Gemeinschaft. Höhe und Gestalt der Hochhaus-Citys aber sind Ausdruck der Freiheit unternehmerischen Handelns und Vermögens.

Türme in Reih und Glied wie Lange Kerls sind, weil nur vom Hubschrauber auf Traufhöhe erlebbar, auch stadtgestalterisch unsinnig. Der Erdenbürger wird die in den Himmel ragenden Solitäre, seien sie auch gleich hoch, je nach Standort und Perspektive in unterschiedlicher Höhe wahrnehmen. Die traditionelle Berliner Traufhöhe wird auch weiterhin das Weichbild der Stadt prägen.

In den Brennpunkten wirtschaftlicher Dynamik aber, den City-Standorten, ist der Boden begrenzt und nur der Himmel offen. Da helfen keine statischen aus vormoderner Zeit entlehnten Stadtbilder. Hier gilt es in abstrakten urbanen Kompositionen Dynamik zu gestalten. Hier ist der Stadtplaner Regisseur bewegter Bilder, sich in Zeitlupe wandelnder Stadtszenerien. Wie die Türme des Ernst-Reuter-Platzes im Wechselspiel von Höhe und Architektur von der Baugeschichte der Nachkriegszeit, so werden die Berliner Citys in Ost und West vom Wandel einer aufstrebenden europäischen Hauptstadt erzählen.

Nach zwei Jahrzehnten der Konsolidierung ist Berlin heute eine wachsende Metropole im Aufstieg. Auch das Zentrum des Berliner Ostens hat mit der Nähe zum Großflughafen und neuen Verkehrsverbindungen die besten Zeiten vor sich. Der Architekturwettbewerb für ein erstes 150 Meter hohes Wohnhochhaus ist ein vielversprechender Anfang.

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