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Berlin: Der Berliner Autofahrer - ein Versuchskarnickel

Vorbildlich hat er sich gestern früh verhalten, der Berliner Autofahrer. Da trommeln der ADAC, Verkehrssenator Peter Strieder sowie Presse, Funk und Fensehen tagelang, bloß nicht auf dem Stadtring zu fahren, der sich, einer Betonsanierung sei Dank, zum Bundesnadelöhr verwandeln werde, und der Autofahrer, lernfähig wie er ist, fährt einen Schleichweg.

Vorbildlich hat er sich gestern früh verhalten, der Berliner Autofahrer. Da trommeln der ADAC, Verkehrssenator Peter Strieder sowie Presse, Funk und Fensehen tagelang, bloß nicht auf dem Stadtring zu fahren, der sich, einer Betonsanierung sei Dank, zum Bundesnadelöhr verwandeln werde, und der Autofahrer, lernfähig wie er ist, fährt einen Schleichweg. Und was passiert? Er steht im morgendlichen Berufsverkehr auf dem Schleichweg im Stau. Kleiner Trost: Das angekündigte Chaos auf der Stadtautobahn fiel dafür aus.

Wie konnte das passieren? Wir müssen uns den Berliner Verkehr so vorstellen wie eine riesige Versuchsanordnung, so wie damals im Physikunterricht. Und der Versuch heißt: Wir bauen auf dem Stadtring und vermeiden dabei den Stau. Leider, leider wurden die Versuchskarnickel - also die Autofahrer - durch die umfangreiche Information im Vorfeld selbst in die Versuchsanordnung miteinbezogen. Deshalb haben sie das Ergebnis verfälscht - analog zu Schrödingers Katze, die im Dunkeln der schwarzen Kiste die Atome in eine unvorhergesehene Richtung schubst, wie wir es aus dem berühmten Buch kennen, das wir damals im Physikunterricht nicht gelesen haben. Oder zumindest so ähnlich.

Das ist das Problem der Informationsgesellschaft: Die Leute wissen einfach zuviel. Wie geht der Versuch weiter? Heute werden die Autofahrer wieder im Stau stehen. Diesmal allerdings auf dem Stadtring. Denn sie haben gestern gelernt, dass der Schleichweg ein echter Schleichweg ist, wenn alle auf ihm schleichen. Aber wir haben ja noch sechs Monate Zeit, genug, um weitere Versuchsanordnungen zu durchlaufen, was jedem einzelnen Autofahrer die Gelegenheit bietet, seinen individuellen Weg durch die Stadt zu bahnen. Übrigens kann man auch mit der U-Bahn fahren. Da steht man zwar auch dicht an dicht. Aber es geht schneller. Einen Versuch wäre es wert.

Eva Schweitzer

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