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Berlin: Der Buchhändler vom Mexikoplatz schlägt die letzte Seite auf Ende der „Nahverkehrskultur“ im S-Bahnhof: Das Geschäft von Manfred Kannenberg muss weichen

Von Udo Badelt Zehlendorf. Der S-Bahnhof Mexikoplatz ist eine Lust fürs Auge: Vom Jugendstil geformter und gerundeter Stein, im Inneren eine unerwartet hohe Eingangshalle und als Krönung eine kühn geschwungene, ziegelbedeckte Haube.

Von Udo Badelt

Zehlendorf. Der S-Bahnhof Mexikoplatz ist eine Lust fürs Auge: Vom Jugendstil geformter und gerundeter Stein, im Inneren eine unerwartet hohe Eingangshalle und als Krönung eine kühn geschwungene, ziegelbedeckte Haube. Wie ein prachtvoller Schlussstein reiht sich das Bauwerk ein in die gründerzeitlichen Bebauung des Zehlendorfer Platzes. Doch so wie es aussieht, wird es sich schon bald um eine kalte, tote Pracht handeln. Denn das lebendige Herz des Bahnhofs, die Buchhandlung von Manfred Kannenberg, hört zum 30. Juni auf zu schlagen.

Sollten sich die neuen Eigentümer und der Buchhändler nicht doch noch verständigen, geht eine weitere Berliner Besonderheit verloren. Die Zeit wird knapp. Ironie der Geschichte: Während allerorts kleinere Buchhandlungen wegen des Konkurrenzdrucks der großen Ketten aufgeben, muß die „Buchhandlung für Geisteswissenschaft und soziale Fragen“ nicht etwa aus wirtschaftlichen Gründen schließen. Obwohl nicht mehr so viele Kunden kommen wie zum Höhepunkt Mitte der Neunziger Jahre, trägt sich das Geschäft noch immer.

Die Buchhandlung muss weichen, weil das Bundeseisenbahnvermögen (BEV) im Zuge der Privatisierung von Bahneigentum letztes Jahr den Bahnhof an zwei Charlottenburger Investoren verkauft hat. Prompt erhielt Kannenberg kurz darauf die Kündigung. Der Buchhändler, ein Hüne von Mann mit kämpferischen Augen, sitzt in dem italienischen Restaurant auf der anderen Seite des Platzes und schüttelt sein mächtiges Haupt. „Die Kunden können es immer noch nicht glauben. Die kommen zu mir rein und fragen: Ist das wirklich wahr? Aber wir wollen doch, dass sie hierbleiben.“

Von seinem Laden aus kann er oft Passanten beobachten, die plötzlich stehenbleiben, um die Schönheit der Halle zu bewundern. Die würden dann auch seinen Laden besuchen. „Aber bei der Bahn hatte man offensichtlich überhaupt keine Vorstellung davon, was dieser Bahnhof den Bewohnern des Statteils bedeutet. Er ist mehr als ein bloßes Empfangsgebäude.“ Vor dem Zugang zur Halle hängt seit einiger Zeit ein Transparent, das für jeden sichtbar die Schließung und denkmalgerechte Sanierung ankündigt. Eine unbekannte Hand hatte das Wort „denkmalgerecht“ damals durch „profitgerecht“ ersetzt; der Aufkleber wurde schnell wieder entfernt.

Doch der Unmut in der Bevölkerung ist zu spüren. Über 5000 Unterschriften wurden bisher gesammelt, eine Initiative für den Erhalt der Kultur im Bahnhof hat sich gegründet. In Schlachtensee weiß man, was man mit der Buchhandlung verlieren würde. 1976, im Jahr der Eröffnung, war es leicht, in Berliner S-Bahnhöfen Räume zu bekommen: Sie waren noch im Besitz der Reichsbahn, wurden nur spärlich genutzt und verfielen zusehends. Mexikoplatz lag weitab vom Stadtzentrum. Genutzt wurde der Bahnhof hauptsächlich von Rentnern aus Ostberlin mit Ausreiseerlaubnis. Der damals 34-jährige Kannenberg aber erkannte bald, dass man hier eine „Nahverkehrskultur“ etablieren könnte, die diesen n auch verdient, eine Begegnungsstätte ost- und westdeutscher Literatur mitten im bürgerlichen Zehlendorf. Er lud DDR-Autoren wie Heinz Knobloch, Gisela Kraft und Stefan Heym ein, am Mexikoplatz zu lesen.

„Lutz Rathenow durfte damals nicht ausreisen, und so haben wir ihn an dem Abend durch ein Double ersetzt“, erzählt er lachend. Seine Buchhandlung war eine „Pflanze des Ost-West-Konflikts“. Nach dem Mauerfall fand auch die Dichterszene aus Potsdamer und Kleinmachnow hier ein Forum. Die Lesungen fanden aus Platzmangel oft direkt in der Bahnhofshalle statt, und auch die jährlichen Adventsmärkte holten Öffentlichkeit an einen Platz, der trotz seiner Schönheit lange nicht so lebendig ist wie etwa der Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg oder der Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg. „Wenn hier mal ein Kind über den Rasen rennt, dann ist das ein Ereignis“.

Mit dem kulturellen Leben ist es wohl bald vorbei. Ein Gespräch, das am 14. Januar unter Vermittlung der damaligen Kultursenatorin Adrienne Goehler zwischen Vertretern der Initiative, den Käufern und Experten aus Architektur und Denkmalpflege stattfand, hatte zu keinem Ergebnis geführt. Die Investoren wollten damals die Möglichkeit eines Rückkaufs des Bahnhofs durch die Initiative prüfen, aber seither hat sich nichts getan, und heute wird zwischen beiden Seiten nicht mehr gesprochen. Eine gewisse Hoffnung setzt Jörg Dargel, Sprecher der Initiative, noch auf den Haushaltsausschuss des Bundestages.

Die Initiative hat nämlich herausgefunden, daß das BEV den Bahnhof seinerzeit weit unter Wert verkauft hat: Für 1,4 Millionen statt 2,5 Millionen Mark. Jetzt beschäftigt sich jetzt der Ausschuss mit der Sache. Sollte er einen Bruch des Haushaltsgesetzes feststellen, ist der Kaufvertrag möglicherweise nichtig. Kannenberg lehnt sich zurück. Er gesteht auch eigene Fehler ein: „Möglicherweise hätten wir den Verkauf damals nicht so drastisch publik machen und den Namen der Investoren nicht nennen sollen. Es gibt nichts, was Investoren mehr hassen als Öffentlichkeit.“ Es sei ihm nicht gelungen, den neuen Eigentümern klar zu machen, daß der Bahnhof ein lebendiges Gebilde ist, dass beim betriebswirtschaftlichen Nachrechnen sofort erstarrt. Bitter aber ist für ihn, daß die Händler im Bahnhof gemeinsam die 1,4 Millionen ebenfalls hätten aufbringen können, wenn man ihnen die Chance dazu gegeben hätte.

Doch Frustration bringt nichts, der 59-Jährige, der vor den Trümmern seines Lebenswerks steht, muss auch an seine Zukunft denken. Zunächst wird er in ein provisorisches Kellergeschoß an der Argentinischen Allee ziehen, in Sichtweite seiner alten Heimat. Der Genius Loci aber wird nicht mitwandern, die Mixtur aus prachtvoller Jugendstilarchitektur, 25-jähriger Geschichte und nachbarschaftlicher Lust am Besprechen und Debattieren ist zu eng mit dem alten Bahnhofsgebäude verknüpft. Noch einmal einen ganz neuen Laden aufmachen, dazu hat der Alt-Achtundsechziger die Kraft nicht mehr.

Der S-Bahn ihrerseits prophezeit er, dass sie den Bahnhof spätestens in fünf Jahren wiederhaben will. „Wahrscheinlich erkennen die schon heute, daß es ein Fehler war, alle Immobilien zu Geld zu machen, noch dazu so billig.“ Die Zehlendorfer aber dürften froh sein, wenn sie ihren Bahnhof nach mehrmonatiger Sanierung überhaupt wieder über die Haupthalle betreten können. Bücher allerdings gibt es dann keine mehr.

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