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Der Buddha vom Alexanderplatz: Kommissar Gennat. Er gilt als der erfolgreichste Ermittler Berlins.

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Kommissar Ernst Gennat: Der Buddha vom Alexanderplatz

Berlins berühmtester Kriminalist war in seinen Ermittlungen so beharrlich wie beim Essen. Ein Porträt.

So tüchtig die heutigen Kommissare auch sein mögen – sie werden nie so prominent werden, dass man sie zum Postkartenmotiv adelt. Und dabei sogar auf ihren Namen verzichten kann, und dennoch weiß jeder Bescheid. Für das Berlin der 20er Jahre ist solch eine Karte verbürgt: Im Vordergrund ein streng blickender Mann mit überdimensioniertem Riesenschädel im Halbprofil, vor sich Akten mit Titeln wie „Lebenslauf des Mörders“ oder „Abschiedsbrief des Selbstmörders“, während von hinten ein Mütterchen mit Kaffeetablett naht. Darüber der Titel: „Der ruhende Pol.“ Das war nur einer der Spitznamen von Ernst Gennat, andere waren „Buddha der Kriminalisten“ oder auch „Der volle Ernst“. Unter den Kommissaren, die die Berliner Kripo hervorgebracht hat, war er einer der erfolgreichsten und gewiss der berühmteste, eine Legende noch heute. In den Medien war er dauerpräsent, Prominente wie Edgar Wallace und Heinrich Mann besuchten ihn im alten Polizeipräsidium am Alexanderplatz, und Fritz Lang gestaltete in „M – eine Stadt sucht ihren Mörder“ (1931) den Kommissar Karl Lohmann so eindeutig nach dem berühmten Vorbild, dass die Kritikerin Gabriele Tergit von der Filmfigur beharrlich nur als Kommissar Gennat schrieb.

Die Eigenarten in Aussehen und Wesen werden wohl dabei geholfen haben, dass Gennat in seiner 35-jährigen Laufbahn diesen Grad an Popularität gewann. Dank eines kaum zu stillenden, von seiner Sekretärin versorgten Appetits besonders auf Stachelbeerkuchen nahm sein Leibesumfang beharrlich zu, so dass Tatortbesuche, besonders in oberen Stockwerken, immer mühseliger wurden. In seiner Kleidung zeigte Gennat die Nachlässigkeit des eingefleischten Junggesellen, dessen Lebensmittelpunkt ohnehin sein von Zigarren verqualmtes Büro war – möbliert mit einer grünen verschlissenen Polstergarnitur, dekoriert mit einer Mordaxt und einem aus der Spree gefischten, konservierten Frauenkopf.

Eine schräge Type also, aber welch ein Kriminalist! Geboren am 1. Januar 1880 als Sohn des Oberinspektors der Haftanstalt Plötzensee, in dessen Dienstwohnung aufgewachsen, der späteren Kundschaft denkbar nahe, so dass er schon früh Einblick gewann in den Zusammenhang von sozialer Verelendung und Kriminalität. Das Jurastudium brach er ab, war schon vorher in die Polizei eingetreten. Am 1. August 1905 wurde er zum Kriminalkommissar ernannt – Beginn einer Karriere unter drei politischen Systemen.

„Kriminalistik ist zu einem großen Teil Kunst der Menschenbehandlung“, lautete eine der Maximen Gennats, „Unsere Waffen sind Gehirn und Nerven“ eine andere. Ein genialer Psychologe muss er gewesen sein, mit phänomenalem Gedächtnis und unendlicher Geduld ausgestattet, noch schwersten Jungens gegenüber korrekt, beharrlich in seinen Fragen, freundlich im Ton – scheinbar mehr eine Vertrauensperson, doch wenn er erst mal bei seinem „Nu erzähl’n Se mal“ war, ahnte noch der ausgekochteste Ganove, dass er geliefert war.

Intuition war die eine, Professionalisierung die andere Seite von Gennats Erfolgsgeheimnis. Die Kripo hat ihm da vieles zu verdanken, etwa die Gründung der Mordinspektion, der er ab 1926 vorstand, die Standardisierung der Ermittlungsarbeit oder den Aufbau einer „Todesermittlungskartei“. Dank solcher Neuerungen konnte die Mordinspektion 1931 von 114 Tötungsdelikten 108 aufklären, wurde zum Vorbild für die Kripo im In- und Ausland.

In den letzten Jahren zog sich Gennat aus der Tatortarbeit zurück. Als Chef der Kriminalgruppe M war er ab 1935 auch für die Inspektionen „Sittlichkeitsdelikte“ und „weibliche Kriminalpolizei“ zuständig. Man beförderte ihn, obwohl er der NSDAP fernstand, zum Regierungs- und Kriminalrat, man wollte auf seine Erfahrung nicht verzichten. Ermittlungen führte er zuletzt nur vom Schreibtisch aus, mehr ließ der schwere Körper nicht zu. Am 20. August 1939 starb Gennat nach schwerer Krankheit, dem Sarg folgten auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof 2000 Menschen.

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