zum Hauptinhalt
Bauunternehmer Roland Ernst.

© Mike Wolff

Der Erbauer des neuen Berlin: Roland Ernst, König der Baulöwen

Die Hackeschen Höfe, die Galeries Lafayette, die Treptowers, der Potsdamer Platz – Roland Ernst gilt als Erbauer des neuen Berlin. Er wurde hofiert von Politik und Wirtschaft. Bis ihn eines Tages die Polizei abholte.

Vor 20 Jahren gehörte seinen Kränen der Himmel über Berlin, jetzt kennt ihn niemand mehr. Der schnöselige Ladenbesitzer, der den alten Herrn pikiert darauf hinweist, dass die Bank vor seinem Schaufenster nicht benutzt werden soll, weiß nicht einmal, dass es ohne Roland Ernst an dieser Stelle dieses touristische Kleinod nicht gäbe. Der Besuch aus Heidelberg aber widerspricht nicht, lächelt nur und zeigt stattdessen nach oben, wo er sich vor 20 Jahren ein schönes Dachgeschoss hatte ausbauen lassen. Damals feierte er hier seinen 60. Geburtstag, als er noch auf dem Höhepunkt seines Erfolges war, hofiert von Politik und Gesellschaft als König aller Baulöwen in Berlin. Als die Branche boomte und sich und das neue Berlin feierte. Erinnerungen.

Heute steht der fast 80-jährige Bauunternehmer in den Hackeschen Höfen, diesem einmaligen Ensemble im Berliner Zentrum, wie einer von tausend anderen Berlin-Besuchern. Ganz kurz nur streichen seine Finger über die glatte Oberfläche an der Wand, die Geste ist der Beginn einer Zeitreise. „Die Fliesen haben wir in Italien brennen lassen“, sagt Roland Ernst, während sich eine Touristengruppe an ihm vorbeischiebt. Verdammt lang her. Dabei hat er von dem Plan damals nicht viel wissen wollen. „Kostet nur Geld, bringt nichts“, habe er seinem Assistenten gesagt, der ihn bedrängte, in das Gemäuer zu investieren.

Die Hackeschen Höfe waren sein Lieblingsprojekt

Es war Helmut Kohl, der den erfolgreichen Bauunternehmer Anfang der 90er Jahre nach Berlin gelockt hatte. Ernst erzählt von einem Treffen mit dem damaligen Bundeskanzler und dem später ermordeten Treuhand-Chef Detlev Rohwedder. Ich will, so habe Kohl ihm gesagt, dass sich in einem halben Jahr 1000 Kräne in Berlin drehen. Das kriegen wir hin, habe er dem Kanzler geantwortet.

Bei dem fast kahlköpfigen Mann, der im Café der Kellnerin mit fast schüchterner Geste winkt, um sich einen Pfefferminztee zu bestellen, kann man sich solch berstendes Selbstbewusstsein kaum noch vorstellen. Aber die dicke goldene Uhr, die hatte er schon damals - seit 40 Jahren, sagt er. Und dass er zupacken kann, das strahlt der kräftige Mann in seiner Cordhose und dem kleinkariert-bunten Hemd unter den breiten Hosenträgern immer noch aus.

Die heruntergekommenen Hackeschen Höfe hielt er aber für ein „reines Liebhaberobjekt“ - zusammengehalten vom Dreck der Jahrzehnte, mit kaputten Wasserrohren, lebensgefährlichen elektrischen Leitungen und verkommenen Wohnungen. Da können sie sich aber einen Namen machen, habe der Assistent insistiert. Roland Ernst lächelt. Tatsächlich waren die Höfe am Ende sein Lieblingsprojekt in der neuen Hauptstadt, in jenen wilden Zeiten, als alles möglich schien und niemand wusste, wo es hingeht mit Berlin.

Fieberhafte Suche nach Bauplätzen

Damals herrschte in der Stadt eine Aufbruchstimmung, die in vielem der gegenwärtigen Euphorie ähnelt. Die gleiche fieberhafte Suche nach Bauplätzen und Verwertungsmöglichkeiten. Alles findet Abnehmer, selbst wenn noch nicht einmal der Grundstein gelegt ist, und alle Preisgrenzen scheinen gefallen. Im ersten Halbjahr 2015 wurden in Berlin die bundesweit höchsten Quadratmeterpreise für Eigentumswohnungen bezahlt. Gegenüber den Hackeschen Höfen wird schon an der nächsten Drehung der Verwertungsspirale gearbeitet. Ein kaum 15 Jahre alter Neubau soll nach den Plänen von Investoren wieder abgerissen werden, um das Grundstück profitabler zu nutzen.

Er müsste Ehrenbürger Berlins werden, habe der damalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) angesichts der vielen Großprojekte in der Stadt mal zu ihm gesagt. „Hören Sie bloß auf“, habe er Diepgen geantwortet. Ist auch nie was draus geworden. Das war, bevor es mit Roland Ernst tief bergab ging. Im März 2000 wurde er wegen Betrugsverdachts verhaftet. Es folgten ein langwieriger Prozess und die Verurteilung zu mehreren Jahren Haft wegen Untreue und Bestechung. Am Ende wurden daraus eineinhalb Jahre auf Bewährung. Da war sein Firmenimperium längst schon zusammengebrochen.

Er ist stolz darauf, wie „toll sich Berlin entwickelt hat“

In der Stadt ist Ernst heute nur noch, wenn er seinen hier lebenden Sohn besucht. Er sei stolz darauf, wie „toll sich Berlin entwickelt hat“. So viel werde gebaut, es sei wie eine zweite Phase der Modernisierung der Hauptstadt - nach dem Bauboom der Nachwendejahre. Nur dass heute viele Projekte zusammengesetzt sind mit den verwechselbaren Versatzstücken aus dem Baukasten der internationalen Investorenkultur, austauschbar, wenig markant. Jedenfalls nicht so imposant wie die Bauten, die mit dem Namen Roland Ernst verbunden sind. Er hat die „Galeries Lafayette“ in der Friedrichstraße gebaut, diesen Glaspalast des französischen Stararchitekten Jean Nouvel, und die hoch aufragenden Treptowers an der Spree und aus dem verrotteten Gelände des DDR-Glühlampenwerks Narva die Oberbaum-City mit dem markanten Hochhaus gemacht. Auch beim neuen Kranzler-Eck, dem Glasgewitter des US-Architekten Helmut Jahn, hieß der Bauträger Roland Ernst. Und am Potsdamer Platz war er neben Daimler und Sony der dritte große Akteur, der diese von Todesstreifen und Mauer verheerte Stadtbrache unter anderem mit dem markanten roten Backstein-Riegel von Giorgio Grassi wieder zu einem urbanen Zentrum machte.

Mehr als 50 Millionen Mark hat er für die Modernisierung der Hackeschen Höfe investiert. „Ein Geschäft war das nicht“, murrt er. Sie gehören ihm schon längst nicht mehr. Trotzdem genießt er die Atmosphäre zwischen Kino und Restaurant, das rührige Treiben auf allen Höfen. Wehmut? Ach je, sagt er und verzieht dabei das Gesicht. „Na ja, es gab eben Rückschläge.“

Zusammenbruch seines Lebensentwurfs

Wobei es Rückschläge nicht ganz trifft. Man könnte es eine Katastrophe nennen, den Zusammenbruch seines Lebensentwurfs. Der Verlust seiner Reputation, seines Vermögens. Mehrere hundert Millionen Mark, so sagt er, hat er verloren, und die vier Tage in der Untersuchungshaft reichten aus, um ihn von der schlimmsten und erniedrigendsten Erfahrung seines Lebens sprechen zu lassen. Er verflucht, dass er die drei Millionen Mark gezahlt hat, die zwei gierige Bahn-Manager verlangten für den Abschluss eines Vertrags in einem Frankfurter Großprojekt. Das war der Anfang vom Ende. Aber er hatte doch Verantwortung für 2000 Mitarbeiter, sagt Ernst, und seine ausgestreckten Hände fuchteln ein wenig hilflos. „Mir blieb doch keine Alternative“, behauptet er. Die Geschäfte liefen schlecht, da war der Vertrag dringend nötig, um nicht in Schieflage zu geraten. Aber von den Politikern, etwa Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe, die ihm vorher bescheinigt hatten, er habe sich um das Land verdient gemacht, wollte plötzlich niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben.

Mehr als sechs Milliarden Mark hat er nach der Wende allein in Projekte in Ostdeutschland gesteckt. Er investierte in Potsdam etwa in das umstrittene Bahnhofscenter und in einen riesigen Gewerbepark in Teltow. Als der Bauunternehmer Jürgen Schneider sich überhob und als Milliardenpleitier aufflog, hieß es in der Branche noch, das passiere Roland Ernst nie. „Doch die Banken machen den Schirm zu, wenn es regnet“, sagt Ernst.

Der Schnellste von allen

Nach dem Mauerfall hatte ihn erst mal nichts nach Berlin gezogen. In diese Kommune, wo es jede Verwaltung doppelt gab und trotzdem nichts funktionierte. Ein bürokratischer Dschungel, wo ein Vermögen machen konnte, wer sich die überforderten Verwaltungsmitarbeiter gefügig machte durch Chuzpe und Weltläufigkeit. Schnell musste man sein, um sich Grundstücke zu sichern. Und Roland Ernst war der Schnellste von allen. Er hatte eine Nase dafür, wie er an Filetgrundstücke kommen konnte.

Fieberhaft suchten Investoren nach Alt-Eigentümern aus der Zeit vor der DDR. Viele davon waren vertriebene jüdische Berliner. So wie Jacob Michael. Zehn Tage verhandelte Ernst in Washington mit dessen Erben, um von ihnen dutzende Grundstücke aufzukaufen - zu einem Zeitpunkt, als noch völlig unklar war, ob das diskutierte Restituierungsgesetz verabschiedet wird. Ein Gesetz, das Alt-Eigentümern Vorrang bei neuen Investitionsprojekten garantieren würde. Jacob Michael besaß Grundstücke in den besten innerstädtischen Lagen, die Hackeschen Höfe - selbst der Standort des Fernsehturms war darunter. „Aber mit dem Grundstück konnte ich nichts anfangen, das war ja schon bebaut“, sagt Ernst. Am Ende zahlte er 300 Millionen Mark für die 58 Grundstücke, große und kleine Parzellen. Oft so gelegen, dass er damit einen Fuß in der Tür bei anderen Projekten hatte. „Keiner konnte an uns vorbei“, sagt er. Zimperlich ging es da nicht zu, wenn es galt, andere Investoren auszustechen. Waren Sie skrupellos, Herr Ernst? Nein, sagt er, ich habe mich nur mitreißen lassen von der Euphorie.

Sein Erfolg in Berlin war märchenhaft

Er galt als knallharter Verhandler, der sich durchzusetzen wusste und dabei nicht zögerlich war. Seinen märchenhaften Erfolg in Berlin, den empfand er auch als Genugtuung gegenüber dem alteingesessenen West-Berliner Baukartell. Das hatte den gefürchteten Preisdrücker aus Heidelberg keinen Fuß auf den West-Berliner Markt setzen lassen. Er hatte damals schon in Deutschland mehrere hundert Großprojekte von Hamburg bis München realisiert. Nach dem Mauerfall aber, als die Stadt nur aus Grundstücken zu bestehen schien, die darauf warteten, bebaut zu werden, war Ernst nicht mehr aufzuhalten. Eine Stadt voller Gelegenheiten für Entwickler und Investoren.

Der Berliner Bauboom erinnert ihn an jene wilden Zeiten. Heute sind es die niedrigen Zinsen, die Baugeld billig machen und Anleger immer risikobereiter. Damals waren es die fünfzigprozentigen Sonderabschreibungen für Bauprojekte, mit denen der Bund die Entwicklung in Ostdeutschland ankurbeln wollte. Ernst ist nicht ganz wohl bei dem, was er auf dem Berliner Markt sieht. „Es wird wieder übers Ziel hinaus geschossen“, sagt er. „Da entwickelt sich eine Blase.“ Manches von dem, was gegenwärtig gebaut werde, finde nur Abnehmer, solange die Kredite extrem preiswert seien. Das könnte ein böses Erwachen geben.

Hat er den Kanzler verflucht?

Würde er in Berlin wieder gerne mitmischen? Der kräftige Mann winkt ab. „Der Markt ist schwieriger geworden.“ Außerdem werde er selbst bald 80 Jahre alt. Der Unternehmer, der einst fast 200 Firmen in einem undurchdringlichen Geflecht dirigierte, ist nur noch Geschäftsführer der Roland Ernst Projektentwicklung, die in Heidelberg gerade ein Marriott-Hotel baut. „Nie habe ich so viel gearbeitet wie damals“, sagt er, „verrückt.“ Aber es habe so viele Ideen gegeben, die Möglichkeiten schienen grenzenlos. „Alle wollten Geld anlegen“, sagt er, „unsere Projekte hatten einen wahnsinnigen Kapitalzufluss.“ So wie heute, weil das Kapital angesichts der niedrigen Zinsen nach Renditemöglichkeiten sucht. Hat er den Bundeskanzler Kohl verflucht, hinterher, als er in die Pleite rutschte, wo blühende Landschaften versprochen waren?

Jedes Jahr ziehen 50 000 Menschen nach Berlin

Roland Ernst schüttelt den Kopf. „Wir haben doch selber die Fehler gemacht“, sagt er. Alle hätten sich damals getäuscht - die Banken, die Anleger, die Politiker, die Unternehmen. Und die Berliner Landesregierung schwadronierte von einem schnellen Bevölkerungswachstum auf fünf Millionen Menschen. Tatsächlich aber nahm die Bevölkerung in den 90er Jahren ab, es gab keine Nutzer für die Wohnungen und Büroflächen, und die Bundesregierung zerstritt sich lange über den Regierungsumzug an die Spree. „Wir haben einfach am Bedarf vorbei gebaut“, sagt Roland Ernst, „weil wir an ein neues Wirtschaftswunder glaubten.“ Beim jetzigen Aufschwung sei es anders, da gebe es mehr Substanz. „Heute boomt Berlin wahnsinnig“, und jedes Jahr ziehen 50 000 Menschen zusätzlich an die Spree.

„Am Ende bin ich durch die ausbleibenden Erlöse zusammengebrochen - es gab keine Mieter.“ Den Anlegern gegenüber aber hatte er in Berlin Mietpreisgarantien übernommen, die jenseits der erzielbaren Miethöhe lag. Das konnte nicht gut gehen. Auch die Bundesregierung, an der Spitze Helmut Kohl, der doch drehende Kräne gefordert hatte, trug dazu bei, dass die großen Pläne in sich zusammenfielen. Als die erwartete Verlagerung der Bundesministerien von Bonn in die alte Hauptstadt lange nicht in Gang kam, brach die Nachfrage nach Büroflächen zusammen. „Aber ich habe in Berlin alle Projekte zu Ende geführt“, betont Roland Ernst, „und keine einzige Ruine zurückgelassen.“ Darauf ist er stolz. Fast so stolz wie auf die Hackeschen Höfe.

Dieser Text erschien am 31. März 2016 auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false