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Berlin: Der erfundene Kranke Wie Ärzte bei der Abrechnung tricksen – Kassen sind machtlos

Ärzte, die ihre Leistungen falsch abrechnen oder sogar Patienten erfinden, um ihr Praxissalär aufzubessern, werden ein immer größeres Problem. Jahr für Jahr sind es zehn Prozent mehr Verdachtsfälle, die die Ermittlungsgruppe „Medicus“ beim Landeskriminalamt bearbeitet.

Ärzte, die ihre Leistungen falsch abrechnen oder sogar Patienten erfinden, um ihr Praxissalär aufzubessern, werden ein immer größeres Problem. Jahr für Jahr sind es zehn Prozent mehr Verdachtsfälle, die die Ermittlungsgruppe „Medicus“ beim Landeskriminalamt bearbeitet. Und jedes Jahr stoßen die Ermittler auf 30 bis 35 Ärzte, bei denen sie sich sicher sind, dass diese bewusst und in betrügerischer Absicht falsch abrechneten. Insgesamt praktizieren in Berlin 6200 niedergelassene Mediziner.

Einen besonders eklatanten Fall bearbeitete die Polizei im vergangenen Jahr. Eine Ärztin soll von 1998 bis 2001 die Behandlung von Kranken abgerechnet haben, die gar nicht bei ihr erschienen waren. Der Trick: Sie forderte vor allem Schüler auf, gegen Belohnung Chipkarten von Bekannten und Verwandten zu besorgen. Diese Daten las die Ärztin in ihren Computer ein, um sie später abrechnen zu können. Schaden: 250 000 Euro. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde das Verfahren gegen die Ärztin jetzt eingestellt, weil die Beschuldigte während der Tatzeit unter einer psychischen Störung litt und deshalb schuldunfähig war.

Ein Extrembeispiel, aber kein Einzelfall. Wie berichtet, ermittelte die Berliner Polizei 2002 in rund 700 Fällen von ärztlichem Abrechnungsbetrug, darunter 70 mit einem Schaden von je mindestens 50 000 Euro. Manchmal stellte sich der Verdacht zwar als simpler Rechenfehler heraus. Doch unter der Hand ist von Ermittlern zu hören, dass „an den großen Fällen immer was dran ist“. Erst seit 2002 wird bei der Berliner Staatsanwaltschaft diese Art des Betruges gesondert erfasst. Allein im vergangenen Jahr eröffneten die Staatsanwälte 45 neue Verfahren, die Hälfte davon stellten sie wegen mangelnden Tatverdachts allerdings wieder ein.

Selbst für die Behandlung von Toten sollen Mediziner Honorare verlangt haben. Die jetzt von der Angestellten-Krankenkasse aufgedeckten 22 Berliner Verdachtsfälle, über die wir gestern berichteten, sind nach Ansicht der Polizei nur Pannen. Denn die Abrechnung von Toten ist viel zu auffällig, als dass die Täter dies bewusst getan haben können. Den Fehler erklärt sich Medicus-Chef Jörg Engelhard so: Die Betrüger tauschten Daten von Patienten aus. Doch die angeblich Behandelten starben irgendwann, ohne dass dies der Kollege erfuhr. Der therapiert den Verstorbenen (auf dem Papier) munter weiter. Möglich ist auch, dass der Arzt selbst der Betrogene ist: Nämlich dann, wenn ihm ein Patient eine gestohlene oder auf dem Schwarzmarkt gekaufte Chipkarte vorlegt.

Die Krankenkassen beklagen, dass sie fast keine Möglichkeiten haben, solche Tricks aufzudecken. Im Gegensatz zu den privaten Krankenversicherungen dürfen sie wegen des Datenschutzes keine Patientenkonten führen, das heißt keine Angaben über die Zahl der Arztbesuche oder die verschriebenen Medikamente erheben. Allerdings sind die Kassen nicht sehr motiviert, genauer zu prüfen, sind sie doch nicht die Geschädigten. Weil die Honorarbudgets pauschal zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen ausgehandelt werden, geht der Mehrverdienst der Betrüger vor allem zu Lasten ihrer ehrlichen Kollegen.

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