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Die Traueranzeige, erschienen am Sonntag im Tagesspiegel.

© Tagesspiegel

Der Fall Ulrike S.: Tödliche Heimkehr

Ulrike S. zieht aus dem Frauenhaus zurück zu ihrem gewalttätigen Mann – und wird erstochen. Die Einrichtungen sind oft hilflos, wenn Gewaltopfer unbedingt nach Hause wollen.

Berlin - Ulrike S. wusste, dass ihr Mann gewalttätig werden konnte. Einmal schon war sie vor ihm ins Frauenhaus geflüchtet. Dennoch wollte sie mit ihm leben, eine Familie gründen. Die 31-Jährige war schwanger. Diesmal sollte alles anders werden. Im Mai zog Ulrike S. aus dem Frauenhaus aus und bei ihrem Mann wieder ein. Nur einen Monat später – am 6. Juni – ist sie tot. Getötet von ihrem Mann, im Laufe eines Streits in der gemeinsamen Wohnung in der Friedrichshainer Liebigstraße. „Sie ist auf äußerst brutale Art und Weise erstochen worden“, sagte – wie berichtet – ein Ermittler. Der Ehemann wurde noch in der Wohnung festgenommen. Wegen psychischer Auffälligkeiten kam der 29-Jährige nicht in Haft, sondern wurde in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Der mutmaßliche Täter soll an Schizophrenie leiden und zuvor schon in ambulanter psychiatrischer Behandlung gewesen sein. Ulrike S. hinterließ zwei Kinder, die aber laut Polizei schon länger nicht mehr in der Familie gelebt hatten.

Die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses Bora, in dem die Frau Zuflucht gefunden hatte, sind schockiert, als sie vom Tod ihres früheren Schützlings erfahren. „Im Mai verließ unsere schwangere Bewohnerin zuversichtlich und fröhlich unser Frauenhaus, um trotz ihrer Erfahrungen einen Neubeginn mit ihrem Ehemann zu wagen. Vier Wochen später ermordete er sie auf grausame Weise“, schreiben sie in einer am Sonntag im Tagesspiegel veröffentlichten Todesanzeige.

Ulrike S. ist kein Einzelfall. Doch Frauenhaus-Mitarbeiterinnen oder Sozialarbeiterinnen haben meist wenig Hilfsmöglichkeiten, wenn Frauen zu ihren Männern oder Lebensgefährten, den einstigen Peinigern, zurückgehen. „Wenn Frauen den Entschluss gefasst haben, sind sie für Ratschläge oft nicht erreichbar“, sagt Irma Leisle von der telefonischen Beratungsstelle BIG-Hotline gegen häusliche Gewalt. „Der Wunsch, dass es klappt, ist sehr, sehr stark.“ In so einer Situation sei es für Betreuerinnen schwer, die Frauen auf die Risiken vorzubereiten und Pläne für den Notfall zu besprechen. „Die Frauen wollen damit nicht konfrontiert werden, weil sie diese Hilfe einfach gar nicht brauchen wollen“, sagt Leisle.

Gabriela Illigens, Referatsleiterin bei der Senatsfrauenverwaltung, schätzt aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung, dass rund die Hälfte der Frauen es wieder mit dem Partner versuchen möchte. „Sie wollen nicht in allen Fällen die Trennung, sondern ein Ende der Gewalt“, sagt Illigens. Statistisch wird nicht erfasst, wie oft das Zusammenleben gut geht. Aber rund ein Drittel der Frauen muss nach erneuten Gewaltexzessen wieder Zuflucht im Frauenhaus suchen. Sowohl Leisle als auch Illigens nennen als wichtigste Voraussetzung für eine gewaltfreie Zukunft, dass die Männer „Verantwortung für ihre Taten“ übernehmen. „Es ist nicht damit getan, zu sagen, wie sehr es einem leid tut“, sagt Illigens. „Die Männer müssen erkennen, dass sie es sind, die ein Problem haben, und dürfen nicht Alkohol und Stress vorschieben“, sagt Leisle. Manchmal erteilen Gerichte, die Staatsanwaltschaft oder die Polizei den prügelnden Männer die Auflage, an Trainingskursen teilzunehmen und sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen.

In Berlin gab es im vergangenen Jahr rund 16 000 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt. Knapp 1300 Frauen – und beinahe ebenso viele Kinder – fanden eine vorübergehende Bleibe in einem der sechs Frauenhäuser. Deren Adressen werden geheim gehalten, um die Frauen vor Nachstellungen ihrer gewalttätigen Partner zu schützen. Dort können sie umfassende Betreuung und Beratung bekommen. In der Regel bleiben Frauen und Kinder bis zu drei Monaten dort.

Besonders tragisch endete der Fall von Sevgi S. Die 24-Jährige wurde im Dezember 2002 von ihrem Mann erschossen, einen Tag, nachdem sie aus dem Frauenhaus ausgezogen war. Sie war noch einmal zu ihm in ihre ehemalige gemeinsame Wohnung gegangen, um einige ihrer persönlichen Sachen zu holen und ein „klärendes Trennungsgespräch“ zu führen, wie es damals in den Ermittlungsakten hieß.

Die BIG-Hotline ist unter 611 0300 täglich von 9 bis 24 Uhr zu erreichen, sie vermittelt den Kontakt zu den Frauenhäusern oder anderen Institutionen. Infos gibt es auch auf der Webseite der Einrichtung.

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