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Berlin: Der fast vergessene Mauersegler

Vor 25 Jahren flog ein Friedensaktivist – ein indischer Yogameister – von Gatow aus in den Osten

Sie waren der gleiche Jahrgang, 1927. Albert Kotschote und Swami Vishnudevanandas. Der eine schlesischer Katholik, der andere indischer Yogameister. Beim ersten Aufeinandertreffen fuhr Bauer Kotschote Traktor, auf dem Feldweg zwischen St. Joseph-Krankenhaus und Orankesee in Pankow. Der Yogameister flog zehn Meter über ihm und setzte gerade zur Landung an, direkt auf Kotschotes frisch gepfügtem Acker. Es war im September 1983, „morgens um viertel acht“, sagt Kotschote. Ein kalter, nebliger Morgen. „Der Yogi war ganz steifgefroren.“

Fast 25 Jahre ist das her – und fast vergessen. Kotschote, ein kerniger kleiner Mann mit Hosenträgern und Gottvertrauen, lebt heute in einer Wohnsiedlung auf dem Grund und Boden, der früher sein Acker war. Swami Vishnudevanandas ist 1993 gestorben. In Kotschotes guter Stube hängt ein Foto, aufgenommen kurz nach dem Fall der Berliner Mauer: der Bauer im Schulterschluss mit dem Yogameister. Sie konnten sich nur per Dolmetscher verständigen, aber viele Worte brauchte es nicht zwischen ihnen.

Swami Vishnudevanandas hat schon einen weltweiten Ruf als Friedensflieger, als er am 15. September 1983 in Gatow auf einem Flugfeld für Modellflugzeuge – gelegen auf den Rieselfeldern – in seinen Drachensegler steigt. Er hebt ab, nimmt Kurs nach Osten und schwebt am Potsdamer Platz über Mauer und Todesstreifen. Der Flug soll beweisen, dass man Grenzen überwinden kann. Wegen des Nebels sieht ihn fast niemand. Der Yogi sieht allerdings auch nicht viel. Eigentlich will er auf dem Alexanderplatz landen, aber dort ragt nur der Fernsehturm aus der milchigen Suppe. Er dreht nach Norden ab und landet in Weißensee.

Heute erinnert das „Sivananda Yoga Vedanta Zentrum“ Berlin an die große Tat ihres einstigen Lehrers.

Swami Vishnudevananda kam 1957 als einer der ersten indischen Yogameister in den Westen, um die „spirituelle Anleitung für den inneren Frieden“ zu verbreiten. Mit ein paar Rupien in der Tasche erreicht er Kalifornien, 1965 lassen sich die Beatles auf dem Flughafen von Los Angeles von Vishnudevanandas erklären, warum es hilfreich ist, mal eine Weile auf dem Kopf zu stehen.

Grenzen sind nur „mentale Konstrukte“, lehrt der Yogameister. Deshalb sei der menschliche Geist auch in der Lage, sie wieder zu beseitigen. 1971 fliegt Vishnudevanandas mit dem Schauspieler Peter Sellers in die Krisenregion Nordirland. Einen Monat später verletzt er den Luftraum über dem Nahen Osten. Am Suez-Kanal wollen ihn Israelische Militärjets zur Landung zwingen, aber Vishnudevanandas wirft Blumen und Flugblätter ab und setzt seine Friedensmission unbeirrt fort. Für die Weltpresse ist er jetzt „Flying Swami“.

Die Berliner Mauer stellt den Yogiflieger vor eine besondere Herausforderung. Er kann sein Sportflugzeug nicht in die Exklave mitnehmen. Die Lösung ist ein Leichtbau-Drachensegler, der sich in seine Einzelteile zerlegen lässt. „An der Grenze haben wir die Fracht als Segelboot ausgegeben“, erzählt Jonas Müller, einer der Mitorganisatoren des damaligen Mauerflugs. Vishnudevanandas gab die Aktion vorab den Medien bekannt, denn es sollten ja möglichst viele Menschen zuschauen und davon berührt werden. Es gingen sogar offizielle Schreiben an Erich Honecker und Willi Stoph.

Die West-Berliner Polizei hätte die geheimen Vorbereitungen fast auffliegen lassen. Als sie „Flying-Swami“ und seine Helfer festsetzen will, ist der Yogi aber schon in der Luft. Am Ziel angekommen, lässt er sich freiwillig von den Vopos abführen. Er hofft auf ein großes Aufsehen. Die Stasi wittert jedoch eine Verschwörung. Der Yogi wird drei Stunden lang verhört. Auch Bauer Kotschote bekommt unangenehmen Besuch. Warum er denn gerade mit dem Traktor unterwegs war an diesem Morgen? Aus den Männern lässt sich nichts Verwertbares herausfragen. Mit einem Käsesandwich ausgestattet, schicken die Geheimdienstler den Friedensaktivisten mit der S-Bahn in den Westen zurück.

Nach dem Mauerfall kehrt Vishnudevanandas nach Ost-Berlin zurück, um den „Präsidenten“ der DDR zu treffen und sein Fluggerät abzuholen, das 1983 konfisziert worden war. Der Yogi wartet so lange vor dem Palast der Republik, bis der Staatsratsvorsitzende Egon Krenz vorbeifährt und kurz zum Händeschütteln aussteigt. Am nächsten Tag ist der Yogi in Weißensee, um Bauer Kotschote wiederzutreffen. Auch das klappt. Nur seinen Friedensdrachen findet er nicht mehr. Der sei vernichtet worden, erklären ihm die DDR-Behörden. Thomas Loy

Im Sivananda Yoga Zentrum, Schmiljanstraße 24, Friedenau, gibt es heute um 14 Uhr einen Vortrag zum Mauerflug vor 25 Jahren; Spendenbeitrag: 14 Euro

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