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SPD-Chef Sigmar Gabriel (Mitte) mit seinen Parteigenossen Klaus Wowereit (links) und Michael Müller.

© rtr

SPD-Spitze sortiert sich neu: Der Führungskampf ist eröffnet

Bei den Sozialdemokraten werden viele Parteifunktionen neu besetzt. Auch Landeschef Müller muss mit Konkurrenz rechnen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wachwechsel bei der SPD-Linken, die seit Jahren den Kurs der Berliner Sozialdemokraten maßgeblich bestimmt: Am Freitagabend wurde Jan Stöß zum neuen Sprecher des linken Parteiflügels gewählt. Der Verwaltungsrichter ist Chef des aufmüpfigen SPD-Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg. Seinen Job als Stadtrat im Bezirk verlor Stöß nach der Wahl 2011 und es zerschlugen sich auch Pläne, Staatssekretär in der Finanzverwaltung zu werden. So bleibt ihm Zeit für die Parteipolitik. Vorerst lässt der SPD-Linke aber offen, ob er im Juni gegen den SPD-Landeschef Michael Müller antreten wird, der den Posten nicht freiwillig hergeben will.

Erst einmal muss sich der Landesverband neu sortieren. Vor allem die Linke, deren langjähriger Sprecher Mark Rackles Staatssekretär in der Bildungsverwaltung wurde. Nicht nur er zieht sich aus der ersten Reihe der Parteipolitik zurück, sondern auch die neue Senatorin Dilek Kolat, bislang Sprecherin der Parlamentarischen Linken. An ihre Stelle treten Susanne Kitschun und Daniel Buchholz, sie aus Friedrichshain-Kreuzberg, er aus Spandau. Das ist jener Bezirk, aus dem der Chef der SPD-Abgeordnetenhausfraktion kommt. Raed Saleh löste im Dezember den Genossen Müller ab, der ein Jahrzehnt die Fraktion führte.

Vieles ist also im Fluss. Und die SPD, seit 2001 in Berlin größte Regierungspartei, ist unruhig. Der Sturm und Drang der jüngeren Aktivisten wird noch durch die innerparteilichen Wahlen verstärkt, die turnusmäßig anstehen. Nach den Ortsvorständen werden, ab Mitte März, die zwölf SPD-Kreisvorstände neu besetzt, Anfang Juni der Landesvorstand. Zwar halten fast alle Bezirkschefs die Stellung, nur in Lichtenberg hört Bezirksbürgermeister Andreas Geisel freiwillig auf und in Mitte muss Christian Hanke, ebenfalls Bürgermeister, mit seiner Abwahl rechnen. Doch im Landesvorstand dürfte kaum ein Stein auf dem anderen bleiben.

So gibt der Unternehmer Harald Christ, ein Vertrauter des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, den wichtigen Posten des Landesschatzmeisters auf. Der SPD-Landesgeschäftsführer Rüdiger Scholz, der 2004 vom damals neu gewählten Berliner SPD-Chef Michael Müller geholt wurde, scheidet aus dem Amt und mindestens zwei von vier Vize-Landeschefs, die Staatssekretäre Rackles und Barbara Loth, werden voraussichtlich den Vorstand verlassen. Als Regierungspersonal sollen sie nicht an höchster Stelle Parteipolitik machen.

Ob Stadtentwicklungssenator Müller die Hauptstadt-SPD über den Sommer hinaus führen wird, ist offen. Er kandidiert zum fünften Mal für den Landesvorsitz, aber er muss zum ersten Mal mit einem Gegenkandidaten rechnen. Wer auch immer das sein wird. Angesichts des Umgangs, den die Berliner SPD mit ihren Spitzenleuten traditionell pflegt, grenzt es schon fast an ein Wunder, dass Müller seit 2004 weitgehend unangefochten an der Parteispitze steht. Seit dem Mauerfall gaben alle seine Vorgänger, Walter Momper und Ditmar Staffelt, Detlef Dzembritzki und Peter Strieder, den Parteivorsitz unter mehr oder weniger spektakulären Umständen auf.

SPD will Profil als "linke Volkspartei" schärfen

Zweimal gab es auch Kampfkandidaturen. An einem glühend heißen Sommertag im Palais unter dem Funkturm setzte sich im Juni 1998 der Reinickendorfer SPD-Mann Detlef Dzembritzki erst nach drei Stunden und im vierten Wahlgang gegen die legendäre Leitfigur der SPD-Linken, Hans-Georg Lorenz durch. Zwei Jahre später musste sich der SPD-Landeschef und Bausenator Strieder eines Angriffs der Parteirechten erwehren und verteidigte nur mit knapper Mehrheit den Parteivorsitz gegen seinen Stellvertreter Hermann Borghorst.

Es war kein Zufall, dass es so hoch herging. Die Genossen zerstritten sich damals immer wieder über die Frage, ob und wie die Berliner Sozialdemokratie aus der ungeliebten Regierungskoalition mit der CDU herauskommen und mit einem klaren politischen Profil wieder bessere Wahlergebnisse einfahren könnte. Dabei kämpften die innerparteilichen Strömungen und deren Anführer erbittert um strategische Mehrheiten. Im Ergebnis setzte sich eine neue, linke Mehrheit durch. Wenig später war es vorbei mit der großen Koalition, der Berliner Bankenskandal bot der SPD 2001 einen willkommenen Anlass auszusteigen.

Seit Anfang 2012 muss die SPD wieder mit der Union regieren, eine Liaison, an die sich viele Genossen nur schwer gewöhnen. Zwar lassen sich vage Gerüchte, dass Teile der Parteilinken den Ausstieg aus dem Regierungsbündnis bereits 2013 im Vorfeld der Bundestagswahl planen, nicht erhärten. Doch in jedem Fall will die SPD mehrheitlich ihr Profil als "linke Volkspartei" schärfen, um gegenüber Grünen, Piraten und der Linkspartei konkurrenzfähig zu bleiben. Ab 2015 wohl ohne Klaus Wowereit als Regierenden Bürgermeister. Eine starke Minderheit, vielleicht schon eine knappe Mehrheit im SPD-Landesverband, verbindet die Zukunft der Berliner Sozialdemokratie auch nicht mehr mit Müller, selbst wenn er vorerst Parteichef bleiben sollte. „Die Karten werden komplett neu gemischt“, sagt ein führender SPD-Linker.

Zwar steht die „alte Linke“ in Steglitz-Zehlendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg großenteils noch an Müllers Seite. Aber die besten Zeiten dieser SPD-Kreisverbände sind vorbei. Stattdessen bemüht sich eine junge Garde, ausgehend von Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow als neue, mitgliederstarke Bastion um die Verknüpfung linker Strategien mit einem personellen Wechsel. Auch die Spandauer Linke um den Fraktionschef Saleh mischt heftig mit. Sollte es ihnen gelingen, ein Zweckbündnis mit der Parteirechten in Reinickendorf und Neukölln zu schmieden und den schwankenden Kreisverband Mitte einzubinden, ist auf dem Landesparteitag im Juni nach vielen Jahren wieder mit spannenden Wahlgängen zu rechnen.

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