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Berlin: Der Graben wird tiefer

Fifa-Chef Blatter will, dass die Zuschauer während der WM im Notfall über Platten aufs Spielfeld flüchten In Berlin stößt die Forderung auf Skepsis – der Senat hatte mit dem Olympiastadion andere Pläne

Irritiert blickten die deutschen Organisatoren der Fußball-WM am Morgen in die Zeitung. Der Chef des Weltverbandes Fifa, Sepp Blatter, hatte der „Rheinischen Post“ erzählt, dass der drei Meter tiefe Graben im Berliner Olympiastadion „komplett abgedeckt werden muss“. Brücken oder Stege würden nicht ausreichen, wenn Panik ausbricht, sagte er, dies habe seine Kommission gerügt. „Uns sind diese Vorgaben nicht bekannt“, sagte der Sprecher des WM-Organisationskomitees (OK). Auch die Kommission kenne er nicht. Selbst der Fifa-Sprecher in der Schweiz wollte lediglich bestätigen, dass das Zitat seines Chefs so gefallen sei.

Die Planungen des Berliner Senats wären somit hinfällig. Nachdem die Stiftung Warentest den Graben ein „unüberwindbares Hindernis“ im Panikfall genannt hatte, suchten die Behörden nach Lösungen. Bislang gab es vier Varianten, wie die Zuschauer im Notfall aufs Spielfeld fliehen sollen. Nach der ersten könnte der Graben mit Sand zugeschüttet werden – was allerdings ausgeschlossen wird, weil im Graben während der WM alle Fernsehkabel verlegt werden. Nach der zweiten Variante – die von der Feuerwehr favorisiert wird – sollen Luftkissen aufgestellt werden, die schnell aufgeblasen werden können. Dritte Variante wären provisorische Brücken, die im Notfall erst aufgebaut werden müssten. Die vierte Möglichkeit wäre die Installation fester Brücken über den Graben. Diese gelten als wahrscheinlich, möglich wäre dabei das Prinzip einer Klappbrücke. Spätestens im März will sich der Senat entschieden haben. Er muss auch für die Kosten aufkommen.

Von Blatters Vorstellung, den kompletten Graben beispielsweise mit dicken Metallplatten abzudecken, hält Peter Schließer jedenfalls „gar nichts“. Schließer war 30 Jahre Stadionverwalter in Berlin und leitet heute beim Organisationskomitee der WM 2006 die Abteilung „Städte und Stadien“. Er sagt: „Der Graben ist seit Jahren vorgeschrieben, es ist nie etwas passiert.“ Außerdem wisse sowieso niemand, wie Menschen in Panik reagieren. „Panik ist leider Chaos, und Chaos ist nicht regulierbar.“ Würde der Graben nun komplett abgedeckt werden, müsste zudem ein neues Hindernis geschaffen werden, damit die Zuschauer nicht aufs Spielfeld rennen können. Wenn hunderte Fans nach einem Tor losrennen würden, reichten Ordner nicht aus.

Nach Ansicht der WM-Organisatoren sollen die Zuschauer so flüchten, wie sie gekommen sind – also notfalls einfach über die Treppe nach oben. Panikforscher dagegen sagen, dass Menschen ins Freie strömen, also zum Spielfeld hin. Schließer hält dagegen: „Und was sollen die Leute im Oberring machen? Die können auch nicht runterspringen, sondern müssen die Treppen benutzen. Für die werden auch keine Brücken gebaut.“

Eine absolute Sicherheitsgarantie gebe es in einem Fußballstadion mit 74 000 Menschen nicht, sagt Schließer. Dennoch sei man „dankbar“ für die Anregungen der Stiftung Warentest. „Wir werden weiterhin den Dialog suchen“, sagt er. Auch wenn er nach 30 Jahren Stadionverwaltung der Meinung ist, dass die Stadien grundsätzlich sicher sind. „Sonst würde nicht an jedem Wochenende in der Bundesliga der Ball rollen“.

Dass der Graben im Olympiastadion im übrigen sehr wohl überwindbar ist, war erst vor einer Woche zu sehen. Da sprang ein Mann während des Fußballspiels zwischen Hertha BSC und Hannover ziemlich locker darüber hinweg und rannte aufs Spielfeld. „Da hatten ein paar Fans in Bierlaune gewettet“, hieß es hinterher. Als der Mann nüchtern war, bekam er allerdings einen unerfreulichen Brief in die Hände gedrückt. Bis 2009 hat er Stadionverbot – bundesweit. Die WM muss er nun vor dem Fernseher verfolgen.

André Görke

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