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Berlin: Der große Lauschangriff

Vor 50 Jahren entdeckten die Sowjets den Rudower Spionagetunnel – Ausstellung im Alliiertenmuseum

Jahrelang hatte der Bauer Paul Noack sein Gelände in Alt-Glienicke als Acker genutzt, 1954 aber legte er dort eine Obstplantage an, auch ein Haus sollte gebaut werden. Äpfel, Birnen, Pflaumen gediehen gut – bis auf einige Baumreihen zwischen Schönefelder Chaussee und Rudower Sektorengrenze. Noack konnte sich das Mickergehölz nicht erklären, bis zum 22. April 1956, einem verregneten Sonntag, wie sich seine Tochter Dagmar Feick, damals 14 Jahre alt, erinnert: „Ein Bekannter war am Apparat und sagte: ,Na, Paul, du bist ja gut. Lässt dir deinen Keller von der Armee ausheben.’“ Noack fuhr hin – und kam kaum noch auf sein Grundstück: Die Sowjets hatten den Spionagetunnel entdeckt, über den Amerikaner und Briten fast ein Jahr lang deren Telefonleitungen zwischen Karlshorst und Wünsdorf und damit auch die nach Moskau angezapft hatten.

Ein halbes Jahrhundert ist das her, Anlass für das Alliiertenmuseum, an den lange aus dem Gedächtnis der Stadt verschwundenen Tunnel mit einer gestern Abend eröffneten Ausstellung zu erinnern. Ein Teilstück war bereits 1997 geborgen worden und ist seit Jahren im Museum zu sehen, ein weiteres tauchte im vergangenen Jahr beim Autobahnbau auf und ist nun, lehmbehaftet und verrostet, vom Besucher sogar zu begehen.

Der Tunnelfund des Vorjahres hat Zeitzeugen in Kontakt zum Museum gebracht, die gestern auch zur Eröffnung kamen: Neben Dagmar Feick der ehemalige ADN-Fotograf Heinz Junge, der den Tunnel nach der Entdeckung dokumentierte und sich noch gut an die fantastische Szene in dem taghell beleuchteten Abhörraum erinnert. Lothar Loewe, ehemaliger SFB–Intendant schilderte die Pressekonferenz der Sowjets an jenem 22. April 1956, über die er als junger Journalist berichtet hatte. Und aus den USA war Hugh Montgomery gekommen, damals CIA-Mitarbeiter in Berlin, später bis in den Botschafterrang aufgestiegen. Er war es, der zum damaligen US-Stadtkommandanten geschickt wurde, um zu erfahren, ob man den Tunnel, in den bereits sowjetische Soldaten bis auf die Westseite vorgedrungen waren, sprengen dürfe. Der Kommandant lehnte ab.

Die Entdeckung des 450 Meter langen Tunnels war ein – von Chruschtschow abgesegneter – Täuschungsakt. Der KGB hatte durch seinen Topspion George Blake schon früh von dem Projekt erfahren, man ließ Amerikaner und Briten aber gewähren, um die eigene Quelle zu schützen. Nicht mal die Dienststellen in Ost–Berlin waren informiert. Die inszenierte Aktion war mit der üblichen Propagandaschlacht nicht zuende. Zehntausende DDR-Bürger wurden im Sommer 1956 zwecks Besichtigung in den Tunnel geschickt, es gab sogar einen Erfrischungsstand und eine Broschüre für 10 Pfennig. Sie ist in der spannenden, auch kaum bekannte Aspekte und Dokumente präsentierenden Ausstellung zu sehen; ebenso ein Fotoalbum, das für den Minister für Staatssicherheit zusammengestellt worden war, Kabelreste und andere Fundstücke oder Akten des DDR-Staranwalts Karl Kaul, der 1957 für Bauer Noack gegen den Senat von Berlin auf 6500 DM Schadensersatz klagte – ein von den Ost-Behörden unterstützter Prozess. Die Klage wurde auch in der Berufung abgewiesen.

„Ist ja fantastisch!“ Die Geschichte des Berliner Spionagetunnels. Alliiertenmuseum, Clayallee 135, bis 24. Oktober, täglich 10 bis 18 Uhr (außer Mi).

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