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Berlin: Der Hauch des Verruchten

Das Katz- und Mausspiel zwischen illegalen Clubs und Polizei ist fester Teil der Berliner Nachtkultur

Katrin Jacob wischt sich die Augen. Das Wochenende steckt der Studentin noch in den Knochen. Clubhopping in Mitte und Prenzlauer Berg, durch alte Brauereien, leerstehende Gewerbehöfe und ein Bootshaus an der Spree. Auf die Schließung des „Golden Gate“ in der Nacht zu Sonntag aber reagiert sie gelassen. „Es kommt ständig vor, dass Clubs schließen“, sagt sie. „Die machen sicher bald wieder auf.“

Razzien, Bußgelder und Schließungen gehören zum Berliner Nachtleben wie Sekt auf Eis und Wodka mit Red Bull. „Natürlich ist es frustrierend, wenn die Polizei die Party stürmt. Auf der anderen Seite hat die Illegalität ihren Reiz“, sagt ein Clubbetreiber, der sich seit zwei Jahren von Duldung zu Duldung hangelt. Geschätzte 20 Mal stand die Polizei vor der Tür und verhängte Ordnungsstrafen. Er weiß, dass die Behörden flexibel sind, wenn es um die Auslegung von Gesetzestexten geht. „Illegale Clubs sind gut für das Ansehen der Stadt, weil sie kulturelle Vielfalt demonstrieren“, sagt er. „Man kann mit den Behörden reden.“ Bevor Geschäfte oder alte Industrieanlagen leer stehen und verfallen, bewillige man eine Genehmigung zur Zwischennutzung.

Davon profitieren auch temporäre Verkaufsflächen wie der „Salesroom“ von berlinerklamotten.de, einem Internetportal für junge Berliner Designer. Für wenige Wochen kann man, momentan an der Friedrichstraße 180-183, Hosen, Jacken, Taschen und T-Shirts kaufen, die in Hinterhofateliers oder an der heimischen Nähmaschine entstanden sind. Eine dauernde Location verliert schnell an Attraktivität, Spontaneität hingegen zieht an.

Dass der Wettbewerb zwischen legalen und illegalen Clubs nicht ganz fair ist, bestätigt Torsten Schliestedt vom „Oxymoron“ in den Hackeschen Höfen. „Sie sind trotzdem wichtig für die Stadt, weil sie Raum für musikalische Innovation bieten“, sagt er. Viele Clubs seien allerdings nach Friedrichshain gezogen, weil die Baupolitik in Mitte immer strikter werde.

Ein Vorreiter war das „Lovelite“ auf dem Hof einer ehemaligen Autowerkstatt in der Simplonstraße in Friedrichshain. Im Sommer 1999 startete es als illegaler Club. Nach einem halben Jahr setzte das Gewerbeamt ein Ultimatum: legal werden oder Schließung für immer. „Für uns bedeutete das: genügend Wasserleitungen legen, Toiletten und Brandschutz einbauen und Hygiene-Schulungen für die Mitarbeiter“, sagt Christopher, einer der Betreiber. Die Kosten lassen sich nicht beziffern, da er und seine Freunde die meisten Umbauten in Eigenarbeit machten. Ohne weiter behelligt zu werden, läuft der Laden jetzt seit fünf Jahren als Auftrittsort für Live-Bands. Den Weg in die Legalität wird auch das „Golden Gate“ an der Schickler- / Ecke Stralauer Straße in Mitte gehen. Betreiber Reimund Spitzler sagt: „Wir haben die Zusage des Bezirksamts, dass wir in wenigen Tagen als ,WTC’ wieder eröffnen können. Dann sollen auch die Bauarbeiten abgeschlossen sein, die die Behörde gefordert hatte.“

Monatlich sind es durchschnittlich drei oder vier illegale Gaststätten, die von Polizei und Gewerbeamt geschlossen werden. Als Spaßverderber sieht sich die Polizei nicht – eher als Wahrer von Sicherheit (Brandschutz, Notausgänge) und Ordnung (Jugendschutz). Am Wochenende, beim „Golden Gate“ und beim „Münzclub“ in der Münzstraße 23, sei man im Auftrag des Bezirksamts tätig gewesen, sagte die zuständige Dezernatsleiterin des Landeskriminalamtes, Gisela Huwe. „Und wir wollen das reguläre Gewerbe stärken.“ Häufig kämen anonyme Hinweise auf illegale Clubs von der Konkurrenz – oder von lärmgeplagten Nachbarn. Die Besucher reize „der Anstrich des Verruchten“, sagte die Kriminaloberrätin.

Der „Münzclub“ – ein elegantes Speiselokal – habe als „Verein“ firmiert und am Eingang „Tagesmitgliedschaften“ für vier Euro verkauft, sagte ein Ermittler, der das Publikum als „elegant, über 40“, beschrieb. Dass sich Lokale als „Verein“ tarnen, sei ein neues Phänomen.

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