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Berlin: Der Hörer (West)

Ja, wir von der s-f-beat-Generation sind in die Jahre gekommen. Die Rente rückt näher, mancher von uns mag längst tot sein, tot wie unsere Lieblingsmoderatoren Juliane Bartel und Ulli Herzog.

Ja, wir von der s-f-beat-Generation sind in die Jahre gekommen. Die Rente rückt näher, mancher von uns mag längst tot sein, tot wie unsere Lieblingsmoderatoren Juliane Bartel und Ulli Herzog. Und es ist heute ein wenig schwer zu erklären, weshalb diese Sendung damals so einschlug, wo doch das Radio voll ist von ähnlichen Formaten. Aber irgendwer musste ja anfangen damit, Radio für Beatles- und Stones-Fans jenseits der naiven Hitparadendudelei zu machen – und das war nun mal der SFB. Nichts gegen den Rias, aber den fanden wir im Westen damals viel zu propagandistisch; das Pathos der Freiheitsglocke zwei Mal täglich war, Verzeihung, ein flagranter Anschlag auf unser Lebensgefühl. Die dringende politische Öffnung fand ebenso wie die musikalische und stilistische zuerst in der Masurenallee statt. Lassen Sie sich nichts von dem „Rotfunk“ erzählen und von der angeblichen Abneigung West-Berlins gegen den SFB. Da drängt sich viel mürbe Zweckpropaganda aus der Landowsky-Ecke danach, die historisch gesicherte Wahrheit sein zu dürfen. Gab es jemals größere Radioereignisse in Berlin als die SFB-Sondersendung zugunsten der italienischen Erdbebenopfer?

Es war ja eben nicht nur so, dass der Sender uns täglich von sechs bis sieben Uhr abends mit unserer Musik, unseren Sprüchen und Themen versorgte, wie man einem Verdurstenden Wasser gibt. Es entstand, wenn mich die Erinnerung nicht trügt, das Gesamtkunstwerk SFB 2 als geistig-moralische Grundversorgung, von der sonnabendlichen Expertenrunde mit ihren flotten Sprüchen gegen Miethaie und Kunden-Nepp über die kompetente Lokalberichterstattung („Berolina“) bis hin zu außergewöhnlichen nächtlichen Musiksendungen. Wer heute definieren will, was „cool“ war, bevor es diesen Begriff überhaupt gab, sollte sich an die Sendungen von Hans-Rainer Lange erinnern, der uns einfach seine Musik vorführte, sie erläuterte, mit uns praktisch im Zimmer saß (und dabei aus dem Fundus der fabelhaften Jazz-Solisten der hauseigenen Big-Band schöpfen konnte). Ja, vermutlich waren es wirklich die Stimmen von damals, die uns diesen Sender nahe gebracht haben, es war das Gefühl, da im Funkhaus Leute zu haben, die wussten, was Sache war. Kann sich noch jemand daran erinnern, dass es eine besondere Leistung war, Musik unverquatscht „auszuspielen“? Damit wir Hörer sie komplett aufs Band bekamen? Danke, nachträglich.

Vermutlich gibt es viele dieser Dinge immer noch – man findet sie bloß nicht mehr. Erst der Blick in die Vergangenheit lässt ermessen, was da alles in der Wellenschwemme und Quotensucht der Gegenwart verloren gegangen ist. Die kompetenten Lokalreporter und die frechen Experten arbeiten weiterhin – aber ihre Arbeit ersäuft auf 88,8 in einer Musiksuppe, die wie eine schroffe Kriegserklärung klingt an uns, die s-f-beat-Generation. Radio Eins ist eine der wenigen deutschen Wellen mit einem intelligenten, leidlich anspruchsvollen Musikprogramm – doch dafür werden dort die Texte penetrant flach gehalten, konzentriert auf Telefonspielchen und die nervtötende Nabelschau befremdlicher Moderatoren-Duos. Die beiden Klassik-Wellen setzen zwangsläufig eine große Liebe zur klassischen Musik voraus, die uns s-f-beat-Anhängern fern liegt, „Fritz“ gemahnt zu peinvoll ans Älterwerden, und Multikulti – nun ja. Ironische Wendung dabei: Die spezifische Qualität, für die wir den SFB geliebt haben, die finden wir heute zumindest tagsüber am ehesten beim Deutschlandradio Berlin, dem Rias-Nachfolger.

Ist das Absicht? Nehmen wir es als Zeichen der Hoffnung, dass Radio Eins, das beste Stück des neuen Senders, bereits ein gemeinsames Produkt von SFB und ORB ist. Ein gewaltiges Potenzial steckt in den Funkhäusern, mit dem allerhand zu machen ist. Vielleicht auch mal wieder kompromisslose Qualität? Am besten genau das, was die Macher selbst gern hören würden. Wie damals s-f-beat.

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