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Berlin: Der Kaiser im Koffer

100 Fotos von Wilhelm II. lagen 30 Jahre im Keller

Kaiser Wilhelm II. schaut den Betrachter mit ernstem Blick an. Sein geschlossener Mund ist umgeben von einem dichten, weißen Schnauzer und einem spitz zum Kinn laufenden Bart. So erblickt den Monarchen auf leicht vergilbtem Papier auch Lutz Dittmann, nachdem dieser etwa 100 Fotos und weitere Dokumente Anfang der 70er Jahre in einem Koffer auf dem Sperrmüll fand. Jetzt überlässt er die Fundstücke der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG).

Was hast du denn da Schönes?, habe er beim Anblick des Pappmachékoffers mit Pepitamuster gedacht, sagte der 62-Jährige gestern. Ein Zettel mit der Aufschrift: „Nach meinem Tode zu entfernen“ hat ihn nicht davon abgehalten, den Koffer ohne Blick auf den Inhalt mit nach Hause zu nehmen. Damit hat er bisher unbekannte Zeitzeugnisse vor dem Sperrmüll gerettet. Die Fotos Wilhelms II. und seiner Familie stammen aus der Zeit des Exils im holländischen Doorn, wo der letzte deutsche Kaiser nach dem Ersten Weltkrieg bis zu seinem Tod 1941 lebte. Unter den Fundstücken sind Porträtfotos, Aufnahmen der Beerdigung Wilhelms und Hochzeitsfotos seiner Enkel, aber auch Heiratsurkunden und andere Dokumente. Sie gehörten wohl einer Vertrauten der Hohenzollernfamilie, Anni Brandt, die für die Finanzen von Wilhelms zweiter Frau Hermine zuständig war. Fotos aus dieser Zeit sind selten. „Ab 1939 gab es eine Verordnung, die das Produzieren und Verkaufen von Fürstenbildern verbot“, erzählte Archivar Jörg Kirschstein, der in den folgenden Wochen das Material sichten und ordnen wird. „Für die Geschichtsschreibung haben die Aufnahmen einen gewissen Wert“, sagte Kirschstein. Einen monetären Wert könne man aber noch nicht beziffern. So bekommt auch Lutz Dittmann kein Geld für seine Schenkung. „Hier weiß ich, es bleibt der Nachwelt erhalten“, sagte er bescheiden. Bisher hatte er die Zeitzeugnisse in einem Koffer in seinem Keller gelagert, den Originalkoffer hat er schon längst weggeworfen. Der Inhalt sei dort einfach in Vergessenheit geraten. Erst als er die Ausstellung „Die Kaiser und die Macht der Medien“ im Schloss Charlottenburg besuchte, erinnerte er sich an seinen „Schatz“, wie er den Fund mehrfach nannte.

Neben den Kaiserfotos finden sich in Dittmanns Koffer noch andere historische Dokumente, unter anderem mit Original-Unterschriften von Adolf Hitler. Dittmann will sich deshalb jetzt auch mit dem Deutschen Historischen Museum in Verbindung setzen.

Eine Ausstellung mit den Aufnahmen Wilhelms ist bisher jedoch nicht geplant. Nachdem die Fotos archiviert und gegebenenfalls restauriert wurden, können Interessenten sie sich nach schriftlicher Anfrage an die SPSG in der Plankammer des Neuen Palais in Potsdam vorlegen lassen.

Matthias Jekosch

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