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Berlin: Der Katalog der verlorenen Schätze

Seit Kriegsende fehlen 3000 Bilder – nach jahrelanger Arbeit legt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten erstmals eine komplette Liste vor

Von Helmut Caspar

und Andreas Conrad

Manches Verbrechen wird nie verziehen. Zum Beispiel bei Tarquinius, Sohn des letzten römischen Königs: Vergewaltigte eine gewisse Lukretia, die sich daraufhin selbst entleibte. Die Schandtat soll sich Ende des 6. Jahrhunderts v.Chr. ereignet haben, in der Renaissance wurde sie zu einem der beliebtesten Motive der bildenden Kunst. Auch Peter Paul Rubens fand daran Gefallen, entwarf 1610/11 in Öl eine Szene voll barocker Leiblichkeit.

Das Gemälde, das als eines seiner Hauptwerke gilt, hing bis 1942 in der Gemäldegalerie von Sanssouci, wurde nach Rheinsberg ausgelagert und verschwand bei Kriegsende. Erst im Vorjahr ist es in privatem Besitz in Moskau wieder aufgetaucht. Aussichten auf Rückführung gibt es bisher nicht. Also werden „Tarquinius und Lukretia“ wohl noch auf lange Zeit zu Recht in der Dokumentation der Kriegsverluste stehen, die die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten nach akribischer Vorbereitung in Kürze vorstellen wird.

Die heutige Stiftung betreut zwar nur Hohenzollern-Schlösser in Berlin und Brandenburg, die Dokumentation umfasst aber die Lücken im gesamten früheren Bestand der alten preußischen Schlösserverwaltung, zu der Gebäude zwischen Koblenz und Königsberg gehörten. Aufgenommen wurden nur die verschwundenen Bilder. Skulpturen, Möbel, Geschirr und Ähnliches sollen folgen.

Rund 3000 Gemälde fehlen seit Kriegsende. In jahrelanger Recherche haben der Kunsthistoriker Gerd Bartoschek und andere Spezialisten den Verlustkatalog erarbeitet. Grundlage waren alte Bilderverzeichnisse, Transportlisten und Publikationen über die Preußenschlösser. Ausgewertet wurden auch alte Hängepläne und Ansichten von Schlossräumen. Das Fotoarchiv der Stiftung bot weitere wichtige Informationen, und nicht zuletzt wurden bei der Recherche Erinnerungen an die „Stunde null“, die Zeit der Besetzung der Potsdamer und Berliner Schlösser durch die Rote Armee, herangezogen.

Die lange erwartete Dokumentation wird in den nächsten Wochen im Eigenverlag veröffentlicht, mit einem Umfang von etwa 700 Seiten und über 1000 Abbildungen. Später sollen die Informationen auf CD-Rom gespeichert und weltweit an Interessenten verschickt werden. Auch wird erwogen, die Dokumentation ins Internet zu stellen. Der Verlustkatalog soll helfen, auf dem internationalen Kunstmarkt gezielt nach Bildern zu suchen. Er ist für Museen, Kunst- und Antiquitätensammler, Polizeibehörden, Gerichte, Medien und andere Interessenten bestimmt und soll nicht nur die Eigentumsansprüche der Stiftung unterstreichen, „sondern auch dem Versickern der gesuchten Objekte in den grauen Kunstmarkt und andere Kanäle einen Riegel vorschieben“, wie Schlösserdirektor Burkhardt Göres erklärt.

Ein ähnliches Projekt wird von den (der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zugeordneten) Staatlichen Museen zu Berlin betrieben. Bisher sind Listen über die Verluste der Gemäldegalerie, der Nationalgalerie, des Museums für Indische Kunst und des Museums für Vor- und Frühgeschichte erschienen. Ob die russische Regierung die alten preußischen Kunstschätze irgendwann freigibt, ist nach Einschätzung der Stiftung Schlösser und Gärten weiterhin unklar. Wenigstens besitze man nun eine wichtige Unterlage für Verhandlungen, die nur von Regierung zu Regierung geführt werden können.

Dabei ist nach der Haltung Russlands von Bedeutung, ob die Beute von den Trophäenkommissionen der Roten Armee requiriert oder, wie bei „Tarquinius und Lukretia“, von Soldaten privat entwendet wurden. In diesem Fall sieht sich ein Moskauer Geschäftsmann als rechtmäßiger Eigentümer, der das Bild von einem Antiquitätenhändler erworben haben will. Die Stiftung will das stark beschädigte Bild aber nicht zurückkaufen.

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