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Berlin: Der Kater danach

Es wirkte lange, als gehe das Konzept des Friedensfest auf. Die Anwohner sind enttäuscht – aber sie geben nicht auf

Klack. Klack. Klack. Der Dreiklang gehört zu Kreuzberg am 2. Mai wie das Sirenengeheul am Vorabend. Klack. Klack. Klack. Der Inhaber vom Schlüsseldienst lehnt in der Tür, nippt am Kaffee, während er die Steinsetzer auf dem Bürgersteig beobachtet. Spurenbeseitigung am Heinrichplatz. „Wir sind hier natürlich alle sehr enttäuscht“, sagt der Schlüsselmacher.

Es muss sich ein bisschen wie ein Kater anfühlen. Nach der Party am 1. Mai, dem Friedensfest, der Fete der Kulturen. Vorm Schlüsseldienst haben sie gestern Abend Fisch gegrillt, vorm Friseur „Haarschlächterei“ nebenan tranken sie Bier und Caipirinha. Kein Platz blieb leer, auch in den Straßencafés. Auf der Bühne spielten sie Rock, davor wippte das Publikum im Takt. Es war der Moment, als sich in den Straßen Kreuzbergs die Hoffnung breit machte, dass dieses Mal am 1. Mai vielleicht wirklich gefeiert wird. Ohne Randale. Nach 16 Jahren. „Wir waren ganz guten Mutes“, sagt PDS-Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer.

Wir – das sind die 30 Standhaften aus dem Kreuzberger Kiez. Die Kneipiers und Geschäftsleute, die der Gewalt nicht weichen wollten. Die ein Friedensfest im Dreieck zwischen Oranien-, Heinrich- und Mariannenplatz organisierten und ihm den Namen „Myfest“ verpassten. Mit Live-Musik auf elf Bühnen, Videoperformance und Feuerakrobatik. Weil die Anwohner und Geschäftsleute genug hatten von der Traditions-Randale. Auch, wenn sie selbst vom Erfolg des Festes nie hundertprozentig überzeugt waren. „Einen Versuch ist es allemal wert“, hieß es bei der IG Oranienstraße. Aber als sich dann nachmittags die Straßen füllten, als alles lachte, tanzte, hüpfte, da begannen selbst die Skeptiker zu hoffen – vergeblich. Nach den ersten Steinwürfen rafften sie zusammen, was sie vorher nach draußen geschafft hatten. Jalousien rasselten, Gitter schepperten. Wie in den Jahren davor? „Dieses Jahr gibt es weniger Schäden als vorher“, sagt der Mann beim Schlüsseldienst. Er will die Hoffnung nicht aufgegeben, auch im nächsten Jahr festhalten am großen Fest im Kiez, an Diskussionen und Deeskalation. „Vielleicht wird es ja jedes Jahr etwas weniger.“

Der seelische Kater – auch Cornelia Reinauer hat er am Morgen danach voll erwischt. „Ich war irrsinnig enttäuscht, als der Krawall losging“, sagt sie im Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg. Doch dann spricht sie erstmal über alles, was geklappt hat: die Organisation, das Miteinander der Kulturen, die Mobilisierung der Nachbarschaft…

Nachdem die Polizei das Fest auflösen musste, saßen ein paar der Standhaften noch beim Bier zusammen. Die Stimmung war mies, sagt Reinauer, doch eines habe man trotz allem beschlossen. „Wir lassen uns nicht abschrecken. Wir gehen den Weg weiter.“

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