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Berlin: Der Keller, der Kraft gibt

Gyöngyöspata, km 1922: Eine Winzerin kurbelt den Tourismus an

Die Kosmetikerin hat nur kurz vorbeigeschaut, um eine Schüssel voll Bodensatz aus den Weinfässern abzuholen. Den braucht sie als Zutat für ihre hausgemachte Schönheitscreme, die sie zunächst an der Verwandtschaft erproben und dann wahrscheinlich ihrer Kundschaft verkaufen wird. Jetzt, wo die Kosmetikerin weg ist, hat Magdi Bernáth Zeit. Sie zündet eine Kerze an und öffnet die Tür zum feuchtkalten Kellergewölbe ihres Hauses. Die hinteren 20 Meter sind teilweise verschüttet, aber im vorderen Teil ist noch genug Platz für zwei Dutzend Fässer und einige hundert Flaschen Wein. Die Hausherrin greift einen Roten, poliert und entkorkt die Flasche, hält ihre Nase ins gefüllte Glas und atmet dampfend aus. „Wenn ich eine halbe Stunde hier drin war, bin ich nicht mehr müde.“

Das Haus ist 200 Jahre alt, der vordere Teil des Gewölbes 300; der Rest war lange unklar. Bis Magdi Bernáth vor zwei Jahren einen Experten kommen ließ, der einen gemauerten Spitzbogen auf das 14. Jahrhundert datierte. Der Keller gehörte damals der Kirche, die ihren Zehnt hier hortete. Später haben Leute darin gelebt; es gibt sogar noch eine Kochnische, aus der man durch den Kamin ein Stück Himmel sieht.

Als sie vor 15 Jahren das Haus in Gyöngyöspata gekauft hat, war Magdi Bernáth noch Managerin einer Mineralwasserfirma. Die heute 54-Jährige ist in dem 80 Kilometer östlich von Budapest gelegenen Dorf geboren. Aber erst, als sie tief in ihr Kellergewölbe und in die Kunst des Weinbaus vordrang, begann sie die dünn besiedelte Region an den Südhängen des Mátra-Gebirges zu schätzen. Sie gab ihren Job auf und gründete die „Weinstraße“, einen Zusammenschluss von 16 Dörfern, die Touristen in die selbst vielen Ungarn kaum bekannte Gegend locken wollen. Die Bezirksverwaltung gab etwas Geld für Info-Tafeln und Schilder für Wanderwege. Um alles Weitere kümmern sich Wirtsleute, Hoteliers und Bäcker – unter Regie von Magdi Bernáth: Sie organisieren Kirchenkonzerte, bekochen ihre Gäste, zeigen ihnen, wie der Wein in die Flasche kommt, und haben das alte Pfarrhaus zum Heimatmuseum hergerichtet. Massentourismus erwarten die Leute nach dem EU-Beitritt Ungarns nicht. Aber sie spüren erste Erfolge: Gerade war eine finnische Gruppe da und hat gestaunt: über die Schönheit des sanft gewellten Landes, in dem die Obstbäume blühen. Über die Qualität des Weines aus dem Mátra-Gebirge, von dem sie nie zuvor gehört hatten.

Gestern, nachdem die Finnen wieder abgereist waren, hat Magdi Bernáth aus purer Neugier die erste Flasche des 2003er Jahrganges entkorkt. Seitdem freut sie sich noch mehr auf ihren Keller.

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