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Berlin: Der Kläger ist auch Angeklagter

Zwei Polizisten und ihr mutmaßliches Opfer müssen sich gleichzeitig vor Gericht verantworten

„Er wird sich nur als Zeuge äußern“, sagte die Anwältin von Levent Ö. Der Richter blieb dabei: „Hier ist er als Angeklagter. Ein Zeuge ist hier nicht im Saal.“ Es ist schwer nachvollziehbar, was seit gestern vor einer Kleinen Strafkammer des Berliner Landgerichts verhandelt wird. In dem Berufungsverfahren sitzen zwei Polizisten und ihr mutmaßliches Opfer gemeinsam auf der Anklagebank.

Die Beamten sollen Ö. bei einem Einsatz wegen Ruhestörung das Nasenbein gebrochen und ihn anschließend mit Tritten und Schlägen gequält haben. Der 44-jährige Ö. hingegen muss sich wegen Widerstandes gegen die Beamten verantworten.

Der Vorfall in der Kreuzberger Yorckstraße in der Nacht zum 14. Mai 2000 hatte bereits ein langes juristisches Nachspiel. Zuerst musste sich der türkischstämmige Mediendozent Ö. aufgrund einer Anzeige der Polizisten verantworten und wurde freigesprochen. 18 Monate später saßen die heute 26 und 28 Jahre alten Beamten vor Gericht. Der Jüngere wurde freigesprochen, sein Kollege wegen Körperverletzung im Amt zu sieben Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Beide hatten die Vorwürfe absichtlicher roher Gewalt zurückgewiesen und von Beleidigungen sowie einem Tritt des Dozenten gesprochen.

Nun sitzen sich die Männer als Täter, Opfer und gegenseitige Nebenkläger gegenüber. Ein Angeklagter muss anders als ein Zeuge nicht die Wahrheit sagen. Wird ein Zeuge als glaubwürdig eingeschätzt, wiegen seine Worte bei der Urteilsfindung besonders schwer. Doch vergeblich beantragte die Anwältin von Ö. die Abtrennung des Verfahrens, die ihm seine Zeugen-Rolle erhalten hätte. Bereits im Vorfeld des Prozesses hatte das Kammergericht entschieden, dass die Verbindung beider Verfahren zulässig sei. Der Staatsanwalt sprach von „Prozessökonomie“, die Verteidiger der Polizisten schlossen sich an.

„Sie können sich als Geschädigter äußern“, sagte schließlich der Richter. Ö. bezeichnete seine Doppelrolle als Opfer und Angeklagter als „absurd“, sprach dann aber doch über die Nacht und warf den Polizisten „systematische Folter“ vor. Bei dem Einsatz wegen Lärms bei einer Party sei es zum Streit gekommen, weil ein Beamter seine winzigen Cannabispflanzen beschlagnahmt habe. Ö. verlangte darüber ein Protokoll für eine Beschwerde. „Auf der Straße bin ich mit extremer Gewalt zu Boden geschleudert worden“, sagte er. Wehrlos und schwer verletzt sei er durch weitere Tritte und Schläge misshandelt worden. Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Kerstin Gehrke

Kerstin Gehrke

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