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Berlin: Der Kreuzberger Kiez feiert ein Straßenfest und hat einen Ruf zu verteidigen

Vom "Bierhimmel" sieht die Straße gemütlich aus. Durch das Fenster fällt der Blick auf den Bürgersteig, auf dem die Fußgänger mehr schlendern als gehen.

Vom "Bierhimmel" sieht die Straße gemütlich aus. Durch das Fenster fällt der Blick auf den Bürgersteig, auf dem die Fußgänger mehr schlendern als gehen. Der Milchkaffee schmeckt, der Schokoladenkuchen ist lecker. Die Hektik ist weit weg. Nur Silke Fischer stört das Bild. Sie eilt vorbei, spricht die ganze Zeit in ein kleines Mikro, das von ihrem Ohr aus vor ihrem Mund baumelt. Im Minutenabstand klingelt ihr Handy, und weil sie das Gerät nicht ständig in der Hand halten kann, nutzt sie die Freisprechanlage und redet und redet. Bis sie den Herrenausstatter am Heinrichplatz erreicht hat und im Laden verschwindet.

"Demokratie ist eine harte Nuss", sagt sie, als sie das Mikro ausstöpselt und sich die Zigarette anzündet. "Jeder will sich individuell wiederfinden." "Jeder", das sind die Vereinsmitglieder und Ladenbesitzer, die sich am ersten Fest auf der Oranienstraße beteiligen, das heute um 14 Uhr beginnt. "Wenn es nur darum gegangen wäre, irgendein Straßenfest zu organisieren, hätten wir einen kommerziellen Veranstalter geholt, der alles macht." Aber das wollte Silke Fischer nicht. Denn das Fest soll nicht irgendeines sein, sondern ein Wunder. Das hört sich hochtrabend an, aber es ist durchaus ernst gemeint. "Die Oranienstraße braucht ein Wunder", sagt auch Bodo Plaul, den hier alle nur "den Kaplan" nennen, weil er fast ausschließlich schwarze Kleidung trägt: "Auch Wunder wollen organisiert sein."

Dabei sieht die Straße in der frühen Nachmittagssonne nicht danach aus, als ob Not am Mann ist: In den Straßencafés lassen sich die Gäste die Gesichter von der Sonne bescheinen, auf den Treppenabsätzen am Heinrichplatz sitzen junge Leute in Gruppen und rauchen und reden. Auch Silke Fischer und der Kaplan sehen, dass es mit der Oranienstraße aufwärts geht: "Seit zwei Jahren etwa ist der Kiez wieder im Gespräch", sagt Bodo Plaul, "junge Leute kommen zurück, und auch die Künstler sind wieder da." Die Lethargie, die sich nach der Maueröffnung breit machte, scheint gebrochen: "Da war die Straße vom Durchgangsverkehr dominiert, es ging auch wirtschaftlich stetig abwärts." Mit dem Ende der "verträumten Insellage", so Plaul, war es vorbei, und die Straße musste ihre neue Rolle erst finden.

Die Oranienstraße hat einen Ruf zu verteidigen. "Wir sind froh, dass wir hier wohnen, und wir finden die Straße gut so, wie sie ist", sagt Silke Fischer. Und sie meint damit die Vermengung von verschiedenen Kulturen, das Nebeneinander von Gemüsehändlern und Lederläden, von Arbeitern und Nachteulen. Das Biotop, das die Straße in den Achtzigern noch war, ist sie heute nicht mehr. Und da muss das Wunder ansetzen. "Die massiv verfehlte Integrationspolitik baden wir hier aus", sagt Silke Fischer und erklärt, was sie meint: "Bei Ausländern ist die Politik immer davon ausgegangen, dass sie nach drei Jahren wieder verschwinden." Das soll sich für Plaul ändern: "Wir wollen den Zusammenhalt stärken." Den Einstieg in dieses "Quartiersmanagement von unten" schafften sie über die Gründung eines Vereins, der so heißt, wie das Motto für das Fest lautet: "Das Wunder der Oranienstraße".Das Fest mit viel Musik auf vier Bühnen zwischen Skalitzer Straße und Oranienplatz beginnt um 14 Uhr, ab 22 Uhr ist Party im SO 36.

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