zum Hauptinhalt

Berlin: Der letzte Schultag: Für eine Fünf gibt es kaum noch Hausarrest

Sechs Wochen Hausarrest für eine Fünf im Zeugnis? Sitzenbleiber ab ins Internat?

Sechs Wochen Hausarrest für eine Fünf im Zeugnis? Sitzenbleiber ab ins Internat? Urlaubsverbot fürs Schulschwänzen? Die Zeiten, in denen Schülern am Zeugnis-Tag zu Hause eine mittlere Katastrophe drohte, sind offenbar vorbei. Zwar hält die Schulverwaltung an der Tradition des Sorgentelefons auch heute fest. Doch die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, dass kaum noch jemand anruft. Lediglich 35 Mal klingelte im Sommer 1999 das Telefon im Landesschulamt. 400 000 Schüler bekommen am heutigen Mittwoch ihre Zeugnisse in die Hand gedrückt.Die wenigen Anrufer sind seit ein paar Jahren fast ausschließlich Eltern. "Die ursprüngliche Absicht, Kindern die Möglichkeit zu geben, ihre Angst vor dem Nach-Hause-Gehen mit einem schlechten Zeugnis loszuwerden, hat sich praktisch erledigt", sagt die Schulrätin Marita Hebisch-Niemsch. Am Telefon fragen die Eltern oft nach den Hintergründen der Noten. "Wie kann ich dagegen vorgehen?" oder "Wer hat darüber eigentlich entschieden?", heißt es oft. Die wenigsten wüssten, sagt die Schulrätin, dass mit der Zensurenvergabe die Lehrerkonferenz beschäftigt ist und nicht nur ein einzelner Lehrer.

Doch auch bildungspolitische Fragen werden an die Mitarbeiter der Sorgentelefone gerichtet. Angesichts des vor allem in "schwierigen Milieus" ständig sinkenden Interesses an den schulischen Leistungen der Kinder freue man sich aber über Anrufe der Eltern. "Oft wünschen wir uns, dass Eltern sich mehr dafür interessierten, was ihre Kinder aus der Schule so mitbringen."

Warum die Telefone nicht häufiger klingeln? Darüber kann man nur spekulieren. Christine Scheitler, Mitarbeiterin des Schulpsychologischen Dienstes in Pankow, beobachtet, dass es durchaus noch Schüler gibt, die wegen ihrer schlechten Noten Ärger mit ihren Eltern bekommen - allerdings in der Regel Wochen vor der Zeugnisvergabe. Seit sechs Wochen vorher "blaue Briefe" mit der Warnung vor der Nichtversetzung geschrieben werden und auch die Schüler lange vorher ihre Noten kennen, sei der Zeugnistag selber "nicht so eine Katastrophe", sagt Scheitler. Gerade jene Eltern, die einen starken Druck auf ihre Kinder ausüben, seien in der Regel dieselben, die in engem Kontakt zur Schule stehen - und somit ohnehin vorab informiert.

In der Schülerberatung des Arbeitskreises Neue Erziehung sieht man auch Anzeichen dafür, dass die meisten Eltern schlicht nicht mehr so streng sind. "Offenbar geht es bei den allermeisten heute doch liberaler zu als früher", sagt Hildegard Lierow vom Arbeitskreis. Selbst bei den etwa fünf Prozent der Schüler, die in jedem Jahr sitzen blieben, sei das meistens kein wirkliches "Angstthema" mehr. Auch die immer wieder einmal vor allem in der Boulevardpresse auftauchenden Berichte über Selbstmorde von Jugendlichen, die angeblich in Zusammenhang mit den schulischen Leistungen stünden, zweifelt Lierow an: "Schlechte Noten können höchstens ein Auslöser sein. Sie sind sicher nicht der wirkliche Grund."

Jeannette Goddar

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false