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Berlin: Der Lockruf

Wie bitte? Sommerschlussverkauf?

Wie bitte? Sommerschlussverkauf? Berliner Geschäfte locken mit Rabatten bis zu 90 Prozent? Wundert sich wirklich noch jemand? Heute geht nur los, was eigentlich abgeschafft ist. Wieder richten wir uns auf Bilder ein, die sich Älteren seit Jahrzehnten eingeprägt haben. Massen, die morgens an Kaufhauspforten rütteln, um sich beim Einlass kreischend auf die Wühltische zu stürzen. Personal, das hinter Stapeln von Prozent-Zeichen Deckung nimmt, um nicht überrannt zu werden. Was haben wir vor gar nicht langer Zeit dem Ende des Schlussverkaufs nachgeweint, ohne zu ahnen, dass er als saisonaler Reflex bei Verkäufern und Käufern so verwurzelt ist wie die andauernde Furcht vorm Feilschen. Wir können die Abkürzung „SSV“ getrost im Wortschatz behalten und entstauben, vielleicht durch das modernere „Sale“ ergänzen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass über Generationen vererbte Gewohnheiten nicht per Gesetz an Bedeutung verlieren. Die Händler brauchen den Schlussverkauf als unnachahmlichen Lockruf, der die Käufer trotz längerer Öffnungszeiten aus der Reserve lockt, in die sie auch noch die lange Hitze getrieben hat. Die Kunden brauchen ihn, weil sie es offensichtlich ziemlich langweilig finden, das ganze Jahr über mit möglichen Preisnachlässen einkaufen zu können. Sie wollen die Herausforderung zum festen Termin, sie lechzen nach Gewühl. Ein wenig traurig ist bei allem nur, dass wir nun Schwarz auf Weiß haben, dass mit dem Sommer wirklich bald Schluss ist.

Christian van Lessen

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