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Berlin: Der Mann hinter dem Berliner Feuerwerk

Er ist der wichtigste Silvester-Kracher der Stadt - Steffen Schallschmidt jagt 1600 Raketen in die Luft.

Er ist der wichtigste Silvester-Kracher der Stadt - Steffen Schallschmidt jagt 1600 Raketen in die Luft.

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Das wichtigste Gerät am Silvesterabend wiegt so viel wie drei Telefonbücher. Es ist der Zünder für das Feuerwerk am Brandenburger Tor. „Hier, genau der“, sagt Steffen Schallschmidt und tippt mit dem Finger auf eine kleine rote Taste. „Auf diesen Knopf muss ich drücken, Punkt Mitternacht, das war’s.“

Natürlich war’s das noch lange nicht. Ein Feuerwerk mit 1600 Raketen, von 300 Fernsehsendern übertragen, ein Spektakel, das das Jahr der Fußball-WM 2006 einleitet und das eine Million Menschen am Brandenburger Tor sehen wollen – das macht mehr Arbeit als nur auf einen roten Knopf zu drücken, auf dem „Fire“ steht.

Ortstermin in Döbern, kurz vor der polnischen Grenze bei Forst. 4000 Einwohner hat der Ort, hinter kahlen Ästen ragen Schornsteine verlassener Industriehallen hervor. Die Bahn hat vor neun Jahren den Zugverkehr eingestellt, die Gleise abmontiert und nur den Schotter in Döbern gelassen. Gegenüber vom alten Güterbahnhof hängt an einem Gittertor ein kleines, gelbes Schild mit der Warnung: „Explosionsgefahr!“ Es ist Schallschmidts Büro.

Zwölf Minuten wird er mit seinem Feuerwerk den Himmel über Berlin erleuchten. 680 Kilogramm Feuerwerk wird er in die Luft jagen, nach und nach werden silberne Fontänen herunterrieseln, goldene Palmen glitzern und ein gewaltiges Donnern das Jubeln der Menschenmasse übertönen. Schallschmidt, 42, sitzt dann mit zwei Ohrenstöpseln unter eine Zeltplane und starrt auf seinen Computer. „Ich will nur Ruhe, absolute Ruhe“, sagt er.

Der Stress beginnt schon bei der Fahrt nach Berlin, gut 160 Kilometer sind das. Schallschmidt ist am Tag vor Silvester mit seinen Kollegen in einen Brandenburger Wald gefahren und in einen tiefen Bunker geklettert, in dem einst die Boden-Luftraketen der NVA lagerten. Dort befindet sich sein Lager. Die LKW, mit denen er sein Material herumfährt, sind im Innern mit Holz verkleidet und nicht mit Blech. Holz verursacht keine Funken, wenn es zu einem Unfall kommt. Doch selbst wenn die Ladung in die Luft gehen sollte, „würden wir nur ein schönes Feuerwerk auf der Autobahn sehen“, sagt er. „Wir transportieren doch keinen Sprengstoff.“ In einer Prüfungsfrage zur Zulassung zum Berufsfeuerwerker musste er übrigens ankreuzen, ob er bei einem Unfall erst die Lokalzeitung anruft oder lieber die Feuerwehr. „Gott, was für Fragen!“, sagt Schallschmidt. Auf dem Betriebsgelände darf auch keine Zigarette geraucht werden.

Ein Feuerwerk ist so exakt abgestimmt wie eine Sinfonie, und Schallschmidt ist der Dirigent. Ist der Countdown abgelaufen, sind die Kugelbomben längst in der Luft. Zwei, drei Sekunden benötigen sie, um die Höhe von 100 Metern zu erreichen. „Die ersten Sekunden nach Mitternacht sind das Wichtigste“, sagt Schallschmidt. „Wir müssen der Welt zeigen: Tätä, wir sind da!“ Wenn die Fernsehsender nach einer halben Minute wieder ausblenden und die Menschen auf der Straße mit Sekt aus Pappbechern anstoßen, beginnt die zweite, ruhigere Phase. Erst zum Finale wird es wieder laut und schnell. Natürlich gibt es wichtige Regeln: „Blau und Grün ist nicht modisch, aber am Himmel kein Problem“, sagt Schallschmidt. Helle und dunkle Raketen dagegen hintereinander abzufeuern, mache keinen Sinn, weil das Auge von der Helligkeit geblendet ist und den anderen Farbton nicht so schnell erkennen kann. Eine Woche dauert die Planung. Und das, was am Himmel zu sehen sein wird, ist ein zusammengesetztes Puzzle von einzelnen, bereits abgefeuerten Feuerwerken. Erfahrung braucht er, weil: Üben kann er den Abschuss von 1600 Raketen vorher ja nicht.

Der Aufbau in Berlin dauert noch einmal 20 Stunden. Auch einen Notfallplan gibt es. „Nichts ist schlimmer als zwei Sekunden Leere am Himmel“, sagt Schallschmidt und tippt wieder auf das Zündgerät. Unter der Antenne, über die alle Kommandos an die Raketen gesendet werden, befinden sich vier weitere Tasten. Jede steht für ein Feuerwerk, „was Kleines für zwischendurch“, sagt Schallschmidt.

Die Firma hat er 1994 gegründet, als jede Tankstelle und Imbissbude zur Eröffnung ein Feuerwerk wünschte. Manchmal sitzt Schallschmidt heute Managern gegenüber, die fragen: Soso, Sie kommen aus Döbern – haben Sie Erfahrung? Dann erzählt Schallschmidt, dass er für das Feuerwerk der Potsdamer Schlössernacht verantwortlich war. Für 1000 Jahre Bautzen. Für die Eröffnung des Warnow-Tunnels. Für die Hanse-Sail. Für 100 Jahre Scandlines-Fähren. Für das Congress-Center auf Gran Canaria. Dass er Aufträge aus Dubai erhält – und, ach ja, im dritten Jahr das Feuerwerk der deutschen Hauptstadt organisiert. In der Regel haben sich dann große Nachfragen erledigt.

Schallschmidt klopft nach einer Weile dreimal auf den Tisch. „Ich hatte bislang nur kleine Brandblasen“, sagt er. Manchmal bewerben sich Männer, die schreiben, was für komplizierte Knallkörper sie gebastelt haben. Die Bewerbungsmappen wirft Schallschmidt in den Müll. „Ich will keine Draufgänger, ich will professionelle Pyrotechniker“, sagt er. Gebastelt hat er nie.

Die Bürotür öffnet sich, ein Kollege läuft mit einer klimpernden Kiste vorbei. „Sekt und Pfannkuchen“, sagt Schallschmidt. „Wir wollen ja auch kurz anstoßen.“ Entkorkt werden die Flaschen allerdings erst eine Stunde nach Mitternacht.

André Görke

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