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Berlin: Der Mauerbau stoppte Weiterentwicklung des S-Bahn-Prototyps "Blaues Wunder"

Noch ein gutes Drittel des heutigen S-Bahn-Fuhrparks stammt aus den Jahren 1927 bis 1944. Erst 2004 sollen die letzten Vorkriegszüge auf den Schrottplatz rollen.

Noch ein gutes Drittel des heutigen S-Bahn-Fuhrparks stammt aus den Jahren 1927 bis 1944. Erst 2004 sollen die letzten Vorkriegszüge auf den Schrottplatz rollen. Bis dahin hat die Berliner S-Bahn die ältesten Wagen Deutschlands im Bestand. Die Serienlieferung neuer Fahrzeuge begann nach dem Krieg in West und Ost überhaupt erst 1990. Geplant war das natürlich anders. In den 50er Jahren verzeichnete die S-Bahn Fahrgastzuwächse. Es war ein Wagenmangel absehbar, dem nur ein Neubau von Fahrzeugen abhelfen konnte. So wurde vor genau 40 Jahren, im Herbst 1959, auf der Straße Unter den Linden der Prototyp einer neuen S-Bahn für Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser aus acht Wagen bestehende Zug verfügte bereits über Merkmale, die heute auch in der modernsten Baureihe 481 vorhanden sind.

So waren die beiden vierteiligen Halbzüge der Baureihe 170 durchgehend begehbar; ein Konzept, das in heutigen U- und S-Bahn-Zügen als fortschrittlich gilt. Zur Komfortverbesserung sah man eine vollautomatische kombinierte Heizung und Lüftung vor. Deshalb meinte man schon damals, auf die Fensterklappen verzichten zu können. Jedoch ließen die modernen, breit bemessenen Fenster die Sonneneinstrahlung ungehindert ein. Bei schönem Wetter stiegen die Temperaturen im Fahrgastraum unerträglich. Ein Tür-Dauerverschluss und von außen schwer zu umgreifende Türgriffe waren zwar noch nicht gegen "S-Bahn-Surfer" gerichtet, sollten aber dem damals verbreiteten Auf- und Abspringen bei fahrenden Zügen entgegenwirken.

Die Hersteller wollten den Fahrgästen auch optisch etwas Besonderes bieten und gaben der Bahn neue Farben: Zwei verschiedene Blautöne wurden durch ein beiges Fensterband unterbrochen. Schnell erfand der Volksmund den Spitznamen "Blaues Wunder".

Und tatsächlich schienen diese Fahrzeuge für den S-Bahn-Betrieb und für die Fahrgäste viele Vorteile zu bieten. So bescheinigte denn auch eine Fachzeitschrift, dass der Zug dem "derzeitigen Weltstand der Technik" entspreche. Die ausgiebige Erprobung förderte dann aber verschiedene Mängel zu Tage. Sie wären mit einigen Konstruktionsänderungen gewiss zu beheben gewesen, sind Fachleute überzeugt.

Dass dennoch kein Serienbau dieses neuen Zuges zu Stande kam, war eine Folge des Mauerbaus. In West-Berlin blieben nach dem Aufruf, die S-Bahn zu meiden, die Fahrgäste weg, der Wagenmangel hatte sich damit erledigt. Die Fahrzeugindustrie war für andere Aufträge frei, weil man entschied, die vorhandenen bewährten Züge immer wieder von Grund auf instand zu setzen. Dies konnte das bahneigene Ausbesserungswerk in Schöneweide erledigen. Die heutige S-Bahn-Hauptwerkstatt beging 1997 ihr 70. Jubiläum.

Manuel Jacob

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