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Berlin: Der Menschenfischer

Evangelisationsgottesdienst in der Gedächtniskirche

„Ist bestimmt mal was anderes“, sagt in der am Abend voll besetzten Gedächtniskirche ein Herr zu seinem Nachbarn. „Wird sich herausstellen, ob es wirklich was anderes ist“, erwidert der. „Ja, wir sind zum Testen hier“, werden sich beide einig. Die Stimmung vor dem ersten Gottesdienst von Ulrich Parzany ist aufgeräumt und neugierig. Einmal im Monat zelebriert der Prediger auf Einladung von Bischof Wolfgang Huber jetzt seine „Gottesdienste als Erweckungsreise“ in der Gedächtniskirche. Parzany ist evangelischer Pfarrer, war lange Jahre Generalsekretär des CVJM und macht besonders als Prediger der Evangelisationsbewegung „Pro Christ“ Furore. „Pro Christ“ inszeniert Gottesdienste im Stil amerikanischer Freikirchen als Stadion- und TV-Ereignis und hat im März eine Woche live aus der Münchner Olympiahalle an 1250 europäische Orte übertragen.

In der Kirche hat eine christliche Pop-Band ihre Instrumente aufgebaut, ansonsten sieht es aus wie immer. Auch die Besucher wirken eher graumeliert als jugendlich experimentierfreudig. Aber ein Experiment soll die neue Gottesdienstform in der prominenten Kirche durchaus sein, sagt Bischof Huber. Als Ulrich Parzany im schwarzen Talar auftritt, ist jedoch endgültig klar, dass es ein möglichst seriöses werden soll. „Ich brauch’ keinen Pfarrer im Talar“, tönt der Hintermann. „Ich auch nicht“, stimmt der Nachbar zu.

Es folgt die Begrüßung. „Wir Christen pfeifen fröhlich unser Lied, weil wir wissen, dass der Tod seit Ostern aus dem letzen Loch pfeift. Aber der Bischof ist da, und da gehört es sich nicht, in der Kirche zu pfeifen.“ Erster Lacher für den weißhaarigen Prediger, dem viele weitere folgen. Außer auf onkelhaftem Charme, rhetorisch versierte Wortspielen und hemdsärmelige Lebensregeln versteht sich Parzany auch auf klare Worte. Unbeliebte Themen wie Sünde und die Verantwortung der Christen nicht nur sich selbst, sondern Gott gegenüber sind zentral in seiner Predigt. Leidenschaftlich wendet er sich gegen den „religiösen Bodennebel“ eines verwässerten, unverbindlichen Glaubensbegriffs und trifft den Nerv des Publikums. Nur das Mitklatschen bei den Softrocksongs flutscht noch nicht so recht.

Fester Bestandteil des Gottesdienstes ist das Gespräch mit einem Gläubigen, der von seiner Gotteserfahrung erzählt. Der Berliner Schauspieler Rolf-Dieter Degen und Ulrich Parzany zeigen sich dabei als ein etwas zu gut eingespieltes Duo. Am Ende lädt Parzany die Menschen zu einem Neuanfang ans Taufbecken. Nach dem Gottesdienst steht eine Gruppe draußen und debattiert. „Wie er die Leute nach vorn gebeten hat und sie das Gebet mitsprechen mussten, fand ich grenzwertig demagogisch“, sagt Gemeindekirchenratsmitglied Lutz Helmut Schön. Die 38-jährige Jutta Limpach ist anderer Meinung: „Ich finde Parzany großartig und will keinen seiner Gottesdienste verpassen. Er spricht auch unangenehme Dinge volkstümlich an.“ Die Predigt bekommt einhellig die besten Noten. „Die Musik ist viel zu laut“, sagt eine Besucherin um die Fünfzig, „jeden Sonntag möchte ich das nicht haben.“

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