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Berlin: Der Merkel-Effekt

Beim Tag der offenen Tür beeindrucken die Kanzlerin und ihr Haus auch viele, die zuvor skeptisch waren

So klingen respektlose Respektsbezeugungen. „Sie sind die beste Kanzlerin, die wir je hatten!“, ruft ein älterer Herr Angela Merkel zu, als sie sich Hände schüttelnd den Weg durch die Menschenmassen im Kanzlergarten bahnt. „Und die einzige!“, ruft ein anderer. Die Leute johlen.

Von großer Ehrfurcht gegenüber der Kanzlerin war am Sonntagnachmittag nichts zu spüren, als Zehntausende am Tag der offenen Tür durch Merkels Amtssitz schlenderten. Stattdessen: Neugierde und Sympathie, sogar bei Besuchern, die von Merkels Politik nicht viel halten. „Sie wirkt sympathischer als im Fernsehen“, sagt Regina Ates. Die Steglitzerin hat Merkel nicht gewählt. Trotzdem: Es gefällt ihr, wie unverstellt die Regierungschefin an diesem Tag wirke: „Zurückhaltend, freundlich, und man merkt, dass das Bad in der Menge nicht ihr Hobby ist.“

Dennoch schlägt sich die Kanzlerin wacker. „Wär das schön, könnte man jeden Morgen so empfangen werden“, sagt Merkel lächelnd, als sie zu Marschmusik vorm Kanzleramt auftaucht und Tausende applaudieren. Sie schüttelt Hände, fragt Kinder nach ihrem Namen, gibt Autogramme und strahlt, wenn die Leute ihr „Alles Gute!“ wünschen, oder „Viel Erfolg!“. Alles macht sie aber nicht mit: Als der Dirigent der Marinekapelle ihr den Taktstock anbietet, sagt sie freundlich, aber bestimmt: „Machen Sie mal lieber.“

Zehn Minuten dauert der Weg durchs gut gefüllt Haus bis in den Garten, dabei schüttelt sie Hunderte von Händen und gibt Dutzende Autogramme. „Na, alles schaff ich aber nicht“, sagt sie zwischendurch und wirkt plötzlich erschöpft. Trotzdem macht sie noch eine halbe Stunde weiter. Als einer aus der dritten Reihe grölt: „Angie, ich steh hier hinten“, lächelt sie still. Und als die Fotografen und Fernsehteams, die zu Dutzenden um sie herumschwirren, sie auffordern, nochmal für die Kameras zu winken, da schüttelt sie den Kopf, grinst spöttisch und macht in Richtung der Besucher eine Geste, die so viel sagen soll wie: Auch das gehört dazu, wenn man Kanzlerin ist.

Als sie sich nach einer guten halben Stunde zur Bühne im Kanzlerpark jenseits der Spree durchgekämpft hat, sieht sie müde aus. „So viele Menschen habe ich noch nie im Kanzleramt gesehen“, sagt sie und wirkt ehrlich beeindruckt, wie viele Besucher sich trotz Schauern und eineinhalbstündiger Wartezeit versammelt haben. Sie plaudert über nicht immer einfache Entscheidungen in der großen Koalition und den verplanten Alltag als Kanzlerin. „Wenn Sie mich fragen, was ich am 23. November um 18 Uhr 30 mache, kann ich sicher sein, dass da schon ein Termin steht.“ Bevor sie weiterzieht und unter anderem am Stand des Unternehmers Hans Wall vorbeischaut, verrät sie noch, dass sie das Kanzleramt anfangs nicht mochte. „Ich habe mich mit dem Bau schwergetan. Aber jetzt bin ich stolz darauf“, sagt sie. Der lange Applaus verrät, dass es vielen Besuchern an diesem Tag ganz ähnlich geht.

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