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Berlin: „Der Mob schrie: Juden, Juden“

Der Eklat um die Jüdenstraße weitet sich aus. Brenner widerspricht der Darstellung der Polizei

Die Auseinandersetzung um die Rückbenennung der Spandauer Kinkelstraße in Jüdenstraße zieht immer weitere Kreise. Nach Vorwürfen antisemitischer Pöbeleien bei der Umbenennung am Freitag erhob am Montag der Zentralrat der Juden in Deutschland schwere Vorwürfe gegen die Berliner Polizei. Die Beamten hätten nicht eingegriffen, als der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner, mit Rufen wie „Juden raus“ und „Juden haben selbst Schuld“ beschimpft wurde. Zentralratspräsident Paul Spiegel forderte die Berliner Justiz auf, den Fall „unverzüglich“ aufzuklären. Am Montagabend erstattete der Polizeiliche Staatsschutz „von Amts wegen“ Strafanzeige gegen Unbekannt.

Unterdessen wichen die Zeugenberichte von der Veranstaltung weiterhin sehr weit voneinander ab. Bei der Umbenennung, so sagten mehrere Teilnehmer, sei es laut und chaotisch zugegangen. Es sei daher durchaus möglich, dass Rufe nur von einigen Zeugen zu hören gewesen seien.

Der Initiator der Umbenennung, der Spandauer FDP-Fraktionschef Karl-Heinz Bannasch, bekräftigte seine Darstellung, derzufolge aus der Gruppe von 40 bis 50 Gegnern der Umbenennung Rufe wie „Juden raus“ und „Juden sind gottlos“ gekommen seien. Die Gruppe sei „hasserfüllt und aufgebracht“ gewesen, es habe „Pogromstimmung“ geherrscht. Auch Alexander Brenner bestätigte, er sei von Beginn seiner Rede an aus dem Publikum mit Rufen wie „Jude, Jude“ beschimpft worden (Siehe Interview).

Andere Zeugen hingegen, die ebenfalls im Publikum gestanden haben, bestritten dies. „Es wurde gemault, und es gab ein allgemeines Gemurmel, aber keine derartigen Sprüche“, sagte Elke Schöning. Sie ist Sekretärin des evangelischen Kirchenkreises, der sein Büro in der Straße hat, und verfolgte die Umbenennung „aus Neugierde“. Aus Sicherheitskreisen hieß es, auch die beiden Personenschützer des Landeskriminalamtes, die während der Rede von Alexander Brenner neben ihm standen, hätten keinerlei antisemitische Rufe gehört. Dies hatten zuvor auch schon andere Polizeibeamte zu Protokoll gegeben. FDP-Mann Bannasch wirft den Beamten vor, bei den antisemitischen Sprüchen weggehört zu haben. Schon als er bei seiner einleitenden Rede über die Umbenennung der Straße 1938 durch die Nazis gesprochen habe, sei ihm aus der Schar der Protestierer entgegen gerufen worden: „Das ist auch gut so.“ Als dann Brenner zu reden anfing, sei ihm „wüstes und unverschämtes Gebrüll“ entgegengeschlagen, so dass der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde kaum zu verstehen gewesen sei. Wer dann die antisemitischen Aussagen gemacht habe, kann Bannasch nicht genau sagen. Er konnte in der Gruppe der protestierenden Anwohner persönlich lediglich eine Geschäftsbesitzerin ausmachen, die das Wort „gottlos“ gerufen habe. Bannaschs Partei will den Vorwurf am kommenden Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zur Sprache bringen.

Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatte am Montagmorgen angekündigt, den Vorfall genauer zu untersuchen. Die Bürgeraktion Kinkelstraße, die sich seit Jahren gegen die Rückbenennung engagiert und deren Mitglieder am Freitag unter den Demonstranten waren, hatte, wie berichtet, bereits Anzeige gegen Unbekannt wegen der „Juden raus“-Rufe erstattet. Die Jüdenstraße war 1938 von den Nazis in Kinkelstraße umbenannt worden. Gottfried Kinkel war Literat und Demokrat und hatte 1848/49 an der Revolution teilgenommen.

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