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Berlin: Der pensionierte Pfarrer wird zu 8400 Mark Geldstrafe verurteilt

In der Schweiz half er schon rund 3000 Menschen legal beim SterbenKatja Füchsel Der Staatsanwalt windet sich - und kann doch nicht aus seiner Haut. "Wir haben diese Gesetze, wir müssen damit leben", plädiert der Ankläger im Moabiter Kriminalgericht.

In der Schweiz half er schon rund 3000 Menschen legal beim SterbenKatja Füchsel

Der Staatsanwalt windet sich - und kann doch nicht aus seiner Haut. "Wir haben diese Gesetze, wir müssen damit leben", plädiert der Ankläger im Moabiter Kriminalgericht. Und deshalb müsse man Rolf Sigg, den hierzulande wohl bekanntesten Sterbehelfer, verurteilen. Auch wenn der pensionierte Pfarrer die an Multipler Sklerose erkrankte Ärztin vor grauenvollen Schmerzen bewahrt habe. Auch wenn der 83-Jährige im Sinne der Marzahnerin und ihres Ehemanns gehandelt habe. Auch wenn er in der Schweiz schon rund 300 Menschen legal beim Sterben half. "Wir haben nun einmal die Gesetze", sagt der Ankläger wieder. Es klingt fast verzeifelt.

Die Marzahnerin Anneliese T. hatte sich im vergangenen Jahr nach einem erfolglosen Suizidversuch bei der Organisation "Ex-International" gemeldet, die von Sigg mit dem Krebsarzt Julius Hackethal kurz vor dessen Tod gegründet worden war. Im April 1998 fuhr dann Sigg, auch Geschäftsführer des Schweizer Vereins "Exit", nach Berlin, um Anneliese T. auf ihrem letzten Weg zu begleiten. In dem Einfamilienhaus reichte er ihr einen tödlichen Natrium-Pentobarbital-Trunk. "Es ist ein so sanftes Sterben mit diesem Mittel", sagt der Schweizer. "Ein Einschlafen ohne Todeskrampf." Selbst der Staatsanwalt zieht es nicht in Zweifel: Als die Ärztin das Glas an die Lippen führte, war sie Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte.

Nun ist es nicht Siggs Einsatz in Sachen "Exit", die dem Staatsanwalt übel aufstößt. Denn wer einem Schwerkranken lediglich hilft, aus dem Leben zu scheiden, bleibt hierzulande straffrei. Der Staatsanwalt hat einen Paragraphen herangezogen, der einst entwickelt wurde, um Drogenhändlern das Handwerk zu legen. Er macht zum Verbrecher, wer "Betäubungsmittel abgibt ( ... ) oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht".

Was für den Staatsanwalt nach Gesetzeslage zwingend erscheint, bezeichnet der Sterbehelfer als sinnlose Paragraphenreiterei. Wenn er nämlich eine Ampulle Zyankali oder Rattengift mitgebracht hätte, wäre er straffrei geblieben; sie fallen nicht unter den Begriff der Betäubungsmittel. "Dann aber wären die Kranken sehr qualvoll gestorben", sagt Sigg und schaut fragend den Ankläger an. Sicher, antwortet dieser, gerecht sei das zwar nicht. Ignorieren könne er den Paragraphen aber trotzdem nicht. "Das wäre Rechtsbeugung."

Das Gericht kommt wenig später zu einem anderen Schluss: Es verurteilt Sigg zu einer Geldstrafe von 8400 Mark, weil er das hierzulande verbotene Betäubungsmittel verabreicht hat - laut Gesetz ein Vergehen, kein Verbrechen. Sigg habe nicht leichtfertig den Tod der Frau verursacht, sondern "im besten Sinne Hilfe geleistet", sagte der Vorsitzende.

Es war nicht das erste Mal, dass der Schweizer in Deutschland zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Trotzdem macht der 83-Jährige weiter. "Ich stehe absolut dazu." Zukünftig werde er aber statt des verbotenen Natrium-Pentobarbital eine speziell entwickelte Plastiktüte einstecken. "Die Tüte zieht sich der Kranke über den Kopf und stirbt dann an dem Kohlendioxid, das er ein- und ausatmet."

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