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Berlin: Der Schmerz sitzt immer noch tief

In der US-Botschaft in Mitte erinnert seit gestern ein Gedenkstein an die deutschen Opfer des 11. September 2001

Er will nicht in Trauer erstarren, aber einen Ort des Gedenkens braucht Manfred Gorki schon, auch nach sieben Jahren noch. Eigentlich hatte sein Sohn Sebastian sein Büro in der 52. Straße, also weit weg vom New Yorker Financial District. Und eigentlich sollte ein anderer Mitarbeiter an dem Meeting der Deutschen Bank im World Trade Center teilnehmen. Der 27-Jährige vertrat ihn nur. Die Sitzung war auch eigentlich vor neun Uhr beendet. Dem Tod entkam er trotzdem nicht.

„Die unschuldigen Menschen, die am 11. September ihr Leben verloren, begannen ihren Tag genauso wie Sie und ich. Sie waren mit dem Leben beschäftigt“, sagte US-Botschafter William Timken gestern bei einer Zeremonie in der US-Botschaft, bei der eine Gedenktafel für die deutschen Opfer der Terror-Anschläge auf das World Trade Center enthüllt wurde. „Im Gedenken an die Tausende, die am 11. September 2001 ihr Leben verloren in New York City, in Washington D.C. und in Somerset County, Pennsylvania. Bürger aus 90 Ländern in aller Welt, darunter elf Deutsche, wurden bei diesem unprovozierten Terroristen-Angriff getötet. “, steht auf Englisch auf der Bronzeplatte.

Manfred Gorki, der mit Frau Marlis und Sohn Manuel aus Iserlohn zu der Zeremonie gekommen war, hat seitdem jeden 11. September in New York verbracht, zusammen mit tausenden anderen Angehörigen am Ground Zero. Er sei enttäuscht, dass seine Bemühungen um einen Gedenkstein beim Innenministerium vergeblich waren.

Als er an jenem Septembertag vor sieben Jahren um 15.15 Uhr nach Hause kam, hat sein Sohn Manuel gesagt, er solle sofort den Fernseher einschalten. Zunächst war er nicht beunruhigt, wähnte den Sohn in der 52. Straße in Sicherheit, hat natürlich versucht anzurufen, erst übers Festnetz. Dann übers Handy. Alle Nachbarn hatten ihre Internetverbindungen und Handys aktiviert. Abends kam dann ein Anruf von der Deutschen Bank, der ihn über das Meeting im World Trade Center informierte.

Als die Familie zwei Wochen später nach New York flog, wunderte sich Gorki, dass es immer noch brannte. Die rußgeschwärzten Arbeiter, der Geschmack von Glassplittern auf den Lippen, der beißende Geruch, das alles war immer noch da. Inzwischen waren die Verletzten in den Krankenhäusern identifiziert, und die Familie lief durch Manhattan, zuckte jedes Mal zusammen, wenn jemand Sebastian ähnlich sah. Könnte doch sein, dass er umherirrt, unter Schock, vergessen hat, wer er ist, dachten sie. Irgendwann jedoch leitete das Deutsche Konsulat kommentarlos ein Fax der US-Behörden weiter, die ein Knochenstück mit Hilfe eines DNA-Tests identifiziert hatten. Die Urne wurde in Iserlohn beigesetzt.

Botschafter Timken dachte nach einem Gespräch mit Gorki sofort, dass es angemessen wäre, der Opfer in der Botschaft zu gedenken. Er selbst war an jenem Vormittag auf dem Capitol Hill, der eigentlich auch Angriffsziel war. Danach hatte er einen Termin im Weißen Haus, den er nicht mehr wahrnahm. Da der Flugverkehr eingestellt war, fuhr er mit dem Auto zurück nach Ohio, vorbei am brennenden Pentagon, vorbei am Flugzeugwrack in Pennsylvania. „Ich glaube, Europäer können sich nicht vorstellen, was das für uns bedeutet hat“, sagt er. „In Europa gab es viele Kriege, bei uns nicht.“ Vieles von dem, was die Amerikaner unternommen hätten, gehe darauf zurück.

Bei einer Gedenkzeremonie im Centrum Judaicum am Nachmittag sprachen christliche, jüdische und muslimische religiöse Repräsentanten. Iman Ferid Heider vom Interkulturellen Zentrum für Dialog und Bildung sagte: „Terror hat keine Religion.“ Er bete dafür, dass „die Menschen miteinander sprechen und nicht die Waffen für sie sprechen lassen“.

Mitarbeit: Alisha Wyman

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