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Berlin: Der Schock wirkt nach

Vor einem Jahr starb ein 16-Jähriger im Alkoholkoma Die juristische Aufarbeitung des Falls steht aus

Sein Tod hatte eine bundesweite Debatte über Alkoholexzesse unter Jugendlichen ausgelöst. Runde Tische wurden gegründet, Politiker hatten bessere Kontrollen des Jugendschutzes gefordert: Ein Jahr ist es heute her, dass der 16-jährige Gymnasiast Lukas W. nach vierwöchigem Alkoholkoma starb. Er hatte sich Ende Februar 2007 ein Wetttrinken mit dem damaligen Wirt der Charlottenburger Kneipe „Eye-T“ geliefert und soll dabei etwa 50 Tequila getrunken haben. Mit 4,4 Promille war der Jugendliche ins Koma gefallen und nie wieder aufgewacht. Das „Eye-T“ wurde kurz darauf vom Wirtschaftsamt geschlossen, Aytac G. wurde verhaftet. Anfang Januar verschonte das Gericht den 26-Jährigen von der Untersuchungshaft, da das Verfahren auch durch „mildere Mittel“, wie Meldeauflagen, sichergestellt werden könne. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest.

Mit der Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge gegen den Ex-Wirt hat die Staatsanwaltschaft juristisches Neuland betreten. Zwar ist ein solches Wetttrinken moralisch verwerflich. Aber war das Duell zwischen Aytac G. und Lukas auch „sittenwidrig“? Sollten die Richter zu dieser Auffassung kommen, könnte der ehemalige Wirt zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden. Der erste Prozess im Zusammenhang mit dem Alkoholtod von Lukas W. lief bereits: Vier mutmaßliche Helfer des Wirts (17 bis 21 Jahre) saßen auf der Anklagebank. Aytac G. musste als Zeuge erscheinen. Er soll von einem „bedauerlichen Unglücksfall“ gesprochen haben. Zwei der Mitangeklagten, die den Schnaps ausschenkten und eine Strichliste führten, wurden verurteilt. Sie sollen jeweils zehn Monate an einem Sozialtraining teilnehmen. Aus Sicht der Richter war es ein sittenwidriges Verhalten: Trinken bis zum Umfallen oder Erbrechen – so seien die „widerwärtigen Spielregeln“ gewesen. Einer der Anwälte hat jedoch umgehend Rechtsmittel eingelegt, so dass der Fall vor den Bundesgerichtshof geht.

Seit dem Tod des Schülers und den anschließenden Debatten „reagiert auch die Bevölkerung sensibler auf das Thema“, sagt ein Polizeisprecher. „Es wird mehr angezeigt.“ Nahezu täglich meldet die Polizei Fälle, bei denen betrunkene Jugendliche auf der Straße aufgelesen und teilweise mit Alkoholvergiftungen in Kliniken gebracht werden: Fast 900 Mal war das seit April 2007 bis Ende Februar dieses Jahres der Fall. „Einmal wöchentlich bieten wir den Bezirken gemeinsame Kneipenkontrollen an“, sagt ein Polizeisprecher. Zudem wurde eine eigene Sonderkommission „Wirt“ gegründet, die ermitteln soll, wer den Jugendlichen den Schnaps unerlaubt verkauft hat.

Als Reaktion auf den Tod des Schülers kündigten sämtliche Bezirke verstärkte Jugendschutzkontrollen an. Im Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf sei sogar ein „extra Bereich“ dafür eingerichtet worden, sagt Wirtschaftsstadtrat Marc Schulte (SPD). Zudem seien die Behörden nun besser vernetzt. „Wir machen verstärkt gemeinsame Kontrollen“, sagt Schulte. Doch ähnlich wie in allen Bezirken fehle das Personal. „Von den acht Mitarbeitern, die wir zusätzlich erhalten sollten, sind erst zwei da.“ Den Personalmangel kritisiert auch der innenpolitische Sprecher der CDU, Frank Henkel. Er fordert ein generelles Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Die Grünen sind dagegen. Nach Ansicht des Grünen-Abgeordneten Benedikt Lux sollte eher über ein „Werbeverbot für Alkohol“ nachgedacht werden. Kerstin Gehrke/Tanja Buntrock

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