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Berlin: Der Schrottomane

Kabel, Spulen, Lämpchen, Batterien, Dioden: Was andere für Elektromüll halten, wird bei Muharrem Batman Kunst

Muharrem Batman ist ein Visionär. In seinem Elektronikladen „Batman Elektronik“ in der Neuköllner Hermannstraße entsteht Großes, zum Beispiel das Kleid aus ausrangierten grünen Leiterplatten mit goldenem Aufdruck, die normalerweise in Elektrogeräten stecken. Es hängt halbfertig an einem Puppentorso, ist aber für den Leib der Elektropopqueen höchstselbst gedacht: Lady Gaga soll es einmal tragen. Wenn es fertig ist, will Batman ihr eine E-Mail schicken. Dann antwortet sie hoffentlich.

Der Name des 46-jährigen Elektroschrottkünstlers ist alttürkisch, Batman ist eine Gewichtseinheit und eine Stadt im Osten der Türkei. Er heißt wirklich so. „Sonst hätte mich die Industrie längst zu Tode geklagt“, sagt Batman. Sein Nachname ist aber nicht das einzig Ungewöhnliche an Muharrem Batman. Das Faszinierende ist: Wenn er von Lady Gaga und dem Kleid erzählt, hat man keinen Zweifel, dass sie eines Tages im grünen Elektrofummel mit passendem Schuhwerk und Hut auf einem roten Teppich stehen wird. Sie wird traumhaft aussehen.

Normal findet Batman langweilig, das hat er mit Gaga gemein. In seinem Laden stehen auf einem Haufen Elektroschrott ein gutes Dutzend Köpfe, die mit Elektrobauteilen beklebt sind: Mosaike aus zerstückelten Kabeln, Spulen, Lämpchen, Batterien, Dioden und Schaltkreisen. Die beiden Prachtstücke sind aber zwei grüne Raver im Schaufenster, in kraftstrotzenden Posen, mit zerkleinerten grünen Leiterplatten beklebt und mit Kabelirokesen behauptet. Batman erinnern sie an die „Anfangstechnozeit in Berlin, an die verrückten Typen mit den bunten Sachen“. Die gefallen ihm. Die Idee zu den Figuren stammt von ihm, die Umsetzung macht seine Schwester Ayse. „Als Muslimin hatte sie anfangs Schiss“, sagt Batman. Im Islam ist die bildliche Darstellung von Menschen umstritten. Mit der Zeit aber sei ihre Angst verflogen. „Wir sind moderne Muslime“, sagt Batman. Dem Raver hat Ayse unter seinem kurzen Rock wenigstens ein vergoldetes Höschen angezogen. Batman lacht. „Es ist die Unterhose meines Schwagers.“

Die Liebe zur kleinteiligen Elektronik kam schon früh, Batmans Eltern waren in den 60er Jahren bekannte Uhrmacher in Istanbul. Als er später mit seiner Mutter und den vier älteren Schwestern nach Kreuzberg zog, gab es auf den Straßen große Entrümpelungsaktionen, bei denen er jede Menge Elektroramsch abgriff. „Mein Zimmer sah aus wie ein Schrottplatz“, sagt er. Bis heute liebt er es, ausgediente alte Teile zu neuem Leben zu erwecken. Gleichzeitig träumte er davon, aus den Elektroteilen Kunst zu machen. Als er vor sieben Jahren den Laden für Computerreparaturen eröffnete, fand er im Keller der ehemaligen Boutique alte Styroporköpfe. Er bat Ayse, die Köpfe mit Elektroschrott zu bekleben – damals bastelte sie mit Stoff und Tüll. „Meinen Elektroschrott hat sie am Anfang nur mit Ekel angefasst“, sagt er. Entsprechend scheußlich sei der erste Kopf geworden. Einen Käufer hat er trotzdem gefunden. „Der kommt und verliebt sich genau in das Teil, das ich hässlich finde“, sagt Batman. Er bekam dafür 15 Euro.

Heute verkauft Batman die Köpfe nicht unter 300 Euro. Für einen der Raver kam gerade ein Angebot: 15 000 Euro. Er hat abgelehnt. Als er dieses Jahr zum zweiten Mal beim Kulturfestival „48 Stunden Neukölln“ dabei war, haben Künstler ihm gesagt, die Figur sei bis zu 70 000 Euro wert. Seit Ayse einen Blumenladen betreibt, hat sie allerdings kaum noch Zeit. Zum Glück hat Batman Judith kennen gelernt. Die 21-jährige Studentin macht Schmuck aus Elektroschrott. Zur Probe hat Batman ihr eine chinesische Winkekatze zum Bekleben gegeben. Lief bestens. Jetzt arbeitet Judith mit ihm am Lady-Gaga-Kleid.

Für seine erste selbst gebastelte Skulptur hat er ein Liebhaberstück gekauft: eine große Lara-Croft-Figur. Er will ihr aber die Knarre nehmen. „Ich habe schon Ersatz besorgt“, ruft er und verschwindet hinter dem Ladentresen. Als er zurückkehrt, reckt er einen alten Föhn in die Höhe. Erstmal baut er aber seine Elektromodelinie mit Judith weiter. Für das nächste Stück hat er schon eine Idee: Er nennt es „Piercingkleid“. Das Model, das es trägt, muss sich an Schultern und Brust piercen lassen. Daran wird es aufgehängt – anders lässt es sich nicht tragen. Das wäre wohl selbst Lady Gaga zu extrem.

Batman Elektronik, Hermannstraße 47, Neukölln, www.elektroschrottkunst.de

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