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Berlin: Der Sinn des Tastens

In Berlin sterben im Jahr 700 Frauen an Brustkrebs – da ist es wichtig, vorzubeugen und sich auch selbst kundig zu untersuchen. Ärzte empfehlen deshalb, einen Kurs zu machen. Aber was lernt man da? Ein Test, ganz unter Frauen

Von Sabine Beikler

Sieben Frauen sitzen in einem stuckverzierten Zimmer auf blauen Sofas, auf einem Couchtisch steht eine Thermoskanne mit Früchtetee. Sie kennen sich nicht, sie reden nicht, nicken sich nur zögerlich zu. Eine Frau steht auf, Brille, dunkle, kurze Haare, Jeans und Bluse. Sie sagt: „Ich freue mich, dass Sie den Mut gefunden haben, hierher zu kommen.“

Cornelia Burgert leitet den Brustselbstuntersuchungskurs im Feministischen Frauen Gesundheitszentrum (FFGZ), das in einer Schöneberger Altbauwohnung residiert. Zuerst bittet sie die Frauen, sich vorzustellen und zu sagen, warum sie da sind. Eine erzählt: „Ich hoffe, hier zu lernen, nicht bei jedem Knötchen in Panik zu verfallen. Denn ich finde immer Knoten.“ Eine andere spricht über ihre an Brustkrebs erkrankte Freundin, ihre Angst und Ohnmacht. „Sich einmal im Jahr vom Gynäkologen die Brust abtasten zu lassen, bedeutet keine Sicherheit“, sagt sie besorgt. Zwei Frauen, Anfang zwanzig, sind aus „bloßer Neugier“ da, obwohl sie längst noch nicht in die Risikogruppe gehören. Allen aber ist gemein: Sie haben Angst oder zumindest ein „ungutes Gefühl“.

Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen. Jährlich erkranken bundesweit etwa 47 500 Frauen an Brustkrebs, in Berlin sind es rund 2000. Pro Jahr sterben daran in Deutschland 18 500, in Berlin 700 Frauen. Weil 80 Prozent der Brusttumore von Frauen selbst entdeckt werden, empfehlen viele Gynäkologen Selbstuntersuchungskurse. In Berlin bietet allerdings nur das FFGZ Kurse an, für eine Gebühr von 18 Euro – Zeit für einen Besuch. Was lernt man hier eigentlich? Muss man dafür Feministin sein? Und ist das irgendwie peinlich?

Kursleiterin Cornelia Burgert sagt: „Die Selbstuntersuchung ist gründlicher als das Abtasten beim Gynäkologen.“ Sie hat einen guten Ton gefunden für ihren Kurs: medizinisch-sachlich, unpeinlich. Die Beklommenheit der Frauen bricht. Jede erzählt von ihren Erfahrungen; sie sei zu „schludrig“, sich einmal im Monat selbst abzutasten, sagt eine, aber vielleicht ist ja auch bei ihr die Angst dabei, etwas zu entdecken, wenn man mal angefangen hat.

Eine Stunde lang referiert die Kursleiterin über den anatomischen Aufbau der weiblichen Brust. Während der Overhead-Projektor Schwarz-Weiß-Zeichnungen an die Wand wirft, erzählt sie von Milchdrüsen, Milchsäckchen, Milchgängen, von Drüsen- und Fettgewebe, Lymph- und Nervenbahnen und den Veränderungen der Brust während des Lebensalters, einer Schwangerschaft oder während der Stillzeit. Cornelia Burgert beendet ihren Vortrag, bringt noch einmal frisch aufgebrühten Tee. Die Stimmung ist jetzt wesentlich lockerer als zu Kursbeginn. „Ich zeige Ihnen jetzt die Untersuchung im Schnellverfahren erst an mir, dann können Sie sich frei machen, wenn Sie wollen, sich eine Decke nehmen und auf den Boden legen.“

Cornelia Burgert zieht ihre Bluse und den BH aus und ölt eine Brust ein, damit sich das Gewebe geschmeidiger bewegen lässt. Sie beginnt mit den Spitzen von Zeige-, Mittel- und Ringfinger 50-CentStück-große Kreise zu ziehen. Man merkt gleich: Das Areal, das sie abtastet, ist viel größer als das, das der Frauenarzt untersucht. Die Untersuchung verläuft immer von oben nach unten, von der Mitte der Achselhöhle bis zum unteren Rand der Brust, dann, einen Fingerbreit weiter, von unten bis zur Mitte des Brustkorbs und bis zum Schlüsselbein. „Versuchen Sie, ob Sie Gewebearten erkennen“, fordert Cornelia Burgert die Frauen auf.

Sieben Minuten pro Brust gibt die Kursleiterin vor. Im Zimmer ist es still, die Frauen liegen auf dem Boden, die Augen geschlossen und konzentrieren sich aufs Abtasten. Im Liegen sind die unterschiedlichen Gewebestrukturen besser zu spüren als im Stehen. Das äußere Fettgewebe ist weich und gibt nach. Das Bindegewebe dagegen ist glatt und fester. Darunter liegen Drüsenstränge, die Milchgänge und Drüsenläppchen enthalten. Das fühlt sich nicht glatt, sondern knubbelig an. Auch Zysten, ungefährliche flüssigkeitsgefüllte Läppchen, kann man so ertasten. Sie sind härter und lassen sich verschieben. Gefährliche Knoten dagegen sind fester und räumlich abgegrenzt.

Nach einer Viertelstunde sitzen die Frauen wieder angezogen auf ihren Plätzen und erzählen. „Es ist ungewohnt, was man so alles fühlt“, sagt eine. Und dann landen zum Schluss tatsächlich fünf Silikonbrüste auf dem Tisch. Diese klinischen Praxisprodukte heißen „Mammacare“. In ihnen sind Veränderungen eingebaut: große, kleine Knubbel, dünne Verwachsungen, erbsengroße Knoten oder taubeneigroße Wülste. „Das ist ja riesig. Unglaublich“, sagen sie.

Durch den Kurs ist bei allen Frauen die Unsicherheit gewichen. Sie haben weniger Angst vor dem, was sie ertasten, sie wissen jetzt, wann sie aufmerken müssen und wann nicht. „Woher soll man auch die Erfahrung haben“, sagt eine und knetet langsam weiter an einer Silikonbrust.

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