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Berlin: Der SPD-Politiker auf Entdeckungstour im Wedding

Wolfgang Thierse ist ein ernster Mann mit einer Vorliebe für philosophische Themen. Das war schon früher so und es hat sich nicht geändert, nachdem der SPD-Politiker aus Prenzlauer Berg letztes Jahr Bundestagspräsident geworden war.

Wolfgang Thierse ist ein ernster Mann mit einer Vorliebe für philosophische Themen. Das war schon früher so und es hat sich nicht geändert, nachdem der SPD-Politiker aus Prenzlauer Berg letztes Jahr Bundestagspräsident geworden war. Thierse lächelt grundsätzlich nur in Notfällen. Das war am Mittwochvormittag nicht anders. Der Präsident war gestern zu Besuch im Bezirk Wedding. Dies auf Einladung des Bezirksbürgermeisters Hans Nisblé, der wie Thierse Sozialdemokrat ist.

Am Morgen hatte sich Thierse auf den Rücksitz seines schwarzen Dienstwagens gesetzt und war ins Rathaus in der Müllerstraße gefahren. Nach einem Gespräch mit dem Bürgermeister, in dem es laut Nisblé um die Probleme des sozialen Wohnungsbaus und hohe Arbeitslosenzahlen ging, stand eine Busrundfahrt durch Wedding auf der Tagesordnung. Dafür hatte der Bezirk einen nagelneuen, einstöckigen BVG-Bus gechartert. Wolfgang Thierse setzte sich auf eine Bank in der Nähe des mittleren Einstiegs und winkte Hans Nisblé neben sich. Ringsum nahm das halbe Rathaus Platz: der Bezirksamtsdirektor, der stellvertretende BVV-Vorsteher, der Pressereferent, Nisblés persönliche Referentin. Und schließlich war da noch Nisblés Amtsvorgänger Jörg-Otto Spiller, der inzwischen im Bundestag sitzt. Baustadtrat Bernd Schimmler griff sich ein Mikrofon und erwies sich als passabler Stadtführer. Die Fahrt ging die Müllerstraße entlang bis zu Schering, am Humboldthain vorbei und über die Brunnenstraße zur Swinemünder Brücke. Thierses ernster Gesichtsausdruck war einem gequälten Lächeln gewichen. War ihm übel vom ungewohnten Busfahren? "Ich fahre oft Bus und Bahn, ich lebe wie ein normaler Mensch", widersprach Thierse.

An der Swinemünder Brücke wartete Siegfried Knüpfer vom "DB Projekt Knoten Berlin" der Bahn. "Wir schließen den Nordring schon bis Ende des Jahres 2001", sagte Knüpfer beim Blick auf Gesundbrunnen-Center und den leeren Tunnelstutzen für die Fernbahn. Wolfgang Thierse nahm ein Streckenschema zur Hand und ließ sich den komplizierten Aufbau des Nordkreuzes genau erklären. Offenbar länger als vorgesehen, denn im Hintergrund sah Hans Nisblé ungeduldig auf die Uhr. "Wir kriegen das pünktlich hin", sagte Siegfried Knüpfer und beschrieb die Dimensionen des künftigen Bahnhofs am Gesundbrunnen: 200 000 Reisende sollen dort täglich umsteigen.

Bei einer Bustour durch Weddding darf der idyllische Winkel zwischen Panke und der Bibliothek im Luisenbad nicht fehlen. Hans Nisblé wies auf das von Sträuchern umwucherte Rinnsal und sagte: "Wir könnten eigentlich Kurkarten nehmen." Nach einem Abstecher in den Lesesaal der Bibliothek fuhren die Genossen zu einem Atelierhaus in der Gerichtstraße. Die Malerin Ulrike Hansen empfing den inzwischen sichtlich genervten Bundestagpräsidenten an ihrem Arbeitsplatz und erklärte, wie man Farben anrührt. Thierse fing sich wieder. Wenige Minuten später hörte man ihn über Berlin und die Berliner reden. "Berlin hat immer alles geschluckt. Der Urberliner kommt aus Breslau wie ich", sagte er. Bei den Künstlern kam Thierse relativ gut an. "Es ist schön, dass er sich etwas Zeit nimmt. So fühlt man sich nicht als pure Staffage", sagte der Maler Matthias Rühl.

Michael Brunner

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