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Auf Abruf. Der Sozialdemokrat Ehrhart Körting (69) ist seit 2001 Innensenator in Berlin. Von 1997 bis 1999 war er bereits Justizsenator.

© Thilo Rückeis

Berlin: „Der Staat muss schneller werden“

Der scheidende Innensenator Ehrhart Körting über Erfolge und Niederlagen seiner Amtszeit – den Kampf gegen rechte und linke Gewalt, junge Serientäter und seinen Ex-Kollegen Sarrazin.

In Berlin wurde über Autobrandstifter und einen beginnenden linken Terrorismus diskutiert. Haben wir über die linke Gewalt die rechte Bedrohung vernachlässigt?

Nein, im Gegenteil, Berlin hat dieses Problem nie unterschätzt. Berlin hat rechte Kameradschaften verboten, regelmäßig Konzerte rechtsextremistischer Liedermacher verhindert und rechte Gewalt auch in bundesweit vorbildhaften Veröffentlichungen dargestellt und bekämpft…

Müssen wir an der Effizienz des Berliner Verfassungsschutzes zweifeln?

Ich sehe dafür keinen Anlass. Das gilt auch für die Ämter vieler anderer Bundesländer. Wenn ich eine klandestine Gruppe habe, die nicht nach außen kommuniziert, ist es ungeheuer schwer, geplante Aktivitäten vor der Tat aufzudecken.

Können Sie ausschließen, dass Sie in Berlin V-Männer haben, die Geld bekommen und damit rechte Organisationen finanzieren?

Ja, wir haben in Berlin keine V-Männer in Führungsstellen von extremistischen Organisationen. Eine andere Frage ist aber, ob ich überhaupt mit V-Männern arbeite oder nicht. V-Männer sind ja gerade keine verdeckten Ermittler, sondern Leute, die aus einem extremistischen Bereich kommen und etwa aus Rache oder auch wegen des Geldes bereit sind, mit Behörden zusammenzuarbeiten. Eine Demokratie, die sich schützen will, braucht leider auch solche Informationen. Die Informanten müssen aber richtig geführt werden und jede Information muss sieben Mal umgedreht werden, um zu wissen, was Wahrheit oder Lüge ist. Aber auf solche Informationen zu verzichten, wäre im höchsten Maße gefährlich.

Sollte das Berliner Verfassungsschutzamt zusammengelegt werden mit den Ämtern anderer Bundesländer, um transparentere Strukturen zu schaffen?

Wir haben in den 90er Jahren den Berliner Verfassungsschutz nach einer Reihe von Skandalen aufgelöst und neu installiert unter Aufsicht der Innenverwaltung als Fachbehörde. Die Struktur gibt es in einigen anderen Bundesländern auch so, in anderen nicht. Wenn ich für drei oder vier Bundesländer eine gemeinsame Verfassungsschutzbehörde habe, wird das Risiko wesentlich größer, dass eine solche Organisation nicht transparent und nicht kontrollierbar ist. Wenn ich Kontrolle ernst nehme und die Verfassungsschutzämter als Frühwarnsysteme sehe, dann kann ich nur dringend vor einer Zusammenlegung warnen. Und auch zwischen Berlin und Brandenburg sind die Probleme zu unterschiedlich, ob beim islamistischen Extremismus oder der linksautonomen Szene, als dass eine Zusammenlegung Sinn macht.

Ist die Stadt seit 2001 sicherer geworden?

Ich glaube schon. Nach der Statistik haben wir einen deutlichen Rückgang der Kriminalität erlebt, auch wenn wir aktuell eine Zunahme von Eigentumsdelikten, etwa Wohnungseinbrüchen, haben. Der Rückgang ist entgegen gewerkschaftlicher Propaganda nicht darauf zurückzuführen, dass wir Polizisten abgebaut haben und die Menschen die Straftaten nicht mehr anzeigen. Im Gegenteil wir sind sensibler geworden bei Sexualdelikten, Delikten gegenüber Kindern und häuslicher Gewalt - es gibt eine hohe Aufklärungsrate und eine hohe Anzeigenbereitschaft, inzwischen auch aus Familien mit Migrationshintergrund. Natürlich gibt es auch ein Dunkelfeld, wo es weniger Anzeigen gibt, etwa bei Graffiti. Leider auch bei fremdenfeindlichen Vorfällen, wenn Menschen beleidigt oder bespuckt werden. Da geht eben nicht jeder zur Polizei. Insbesondere ist die Jugendkriminalität deutlich zurückgegangen, auch durch unsere Projekte gegen jugendliche Intensivtäter. Wir haben da eine Erfolgsstory. Wir haben etliche Intensivtäter von der Straße geholt und auch einen Rückgang von Jugendgruppengewalt. Aber wir waren zu langsam bei der Verurteilung von Jugendstraftätern; das darf nicht erst Monate nach der Tat passieren. Hier muss der Staat schneller werden. Das geschieht zur Zeit durch die Ausweitung des Neuköllner Modells auf die ganze Stadt.

Nach Ansicht der CDU sind Sie gescheitert, was die Sicherheitslage angeht: Verwahrlosung des öffentlichen Raums und brutale Überfälle im Nahverkehr.

Es ärgert mich, weil dieses Bild nicht stimmt. Wir haben nicht mehr Gewaltvorfälle im Nahverkehr und in öffentlichem Straßenland als in früheren Jahren. Heute werden diese Vorfälle bloß stärker problematisiert als Kriminalitätsphänomen, von dem der Bürger erwartet, dass der Staat es in den Griff bekommt. Es ist aber falsch zu glauben, dass diese Vorfälle das Ergebnis einer bestimmten Politik sind.

Aber Autobrandstiftungen haben erst nachgelassen, nachdem zusätzlich die Bundespolizei auf den Straßen unterwegs war.

Ich bin dankbar für die Hilfe der Bundespolizei. Die Brandstiftungen haben nachgelassen durch gezielten Einsatz unserer Polizei und Bundespolizei und durch die Aufklärung von Taten. Die bloße Erhöhung von mehr Streifen hat dagegen nur eine begrenzte Wirkung.

Sie reden die Situation schön. 250 Polizisten mehr auf die Straße zu bringen, wie es die CDU im Koalitionsvertrag durchsetzte, trifft das Gefühl von Menschen, die sich unsicher fühlen auf der Straße.

Das Unsicherheitsgefühl der Menschen nehme ich ernst. Ich bin aber in vielen Metropolen herumgekommen und widerspreche, dass Berlin ein unsicherer Ort ist. Ich bin der Überzeugung, dass wir mit 16 160 Polizeivollzugsbeamten in Berlin und nach der von uns beschlossenen Erhöhung von 200 im Sommer eine vernünftige Sicherheit garantieren können. Dass im Koalitionsvertrag auf Wunsch der CDU eine Erhöhung um weitere 50 vereinbart wurde, ist eher eine symbolische Verstärkung, aber natürlich freut sich jeder Innensenator über zusätzliche Polizei.

Integration hängt einerseits von den Chancen ab, die wir bieten, aber auch vom Willen zur Integration. Letzteres hat der rot-rote Senat zu wenig eingefordert.

Nein. Wir haben im Gegenteil mit der Formel von fordern und fördern deutlich gemacht, dass wir von Immigranten etwas haben wollen. Wir haben nicht zu wenig getan, aber es wird teilweise konterkariert durch Äußerungen wie von Erdogan, dass sie sich eigentlich nicht integrieren müssten. Und wir verlieren gut ausgebildete Menschen, die wieder in die Türkei gehen, weil sie dort bessere Chancen sehen.

Hat Sarrazin einen doppelten Schaden angerichtet: Einerseits Menschen mit Migrationshintergrund diffamiert und rechtes Gedankengut ermutigt?

Ja, er hat Schaden angerichtet. Ich würde ihm nicht unterstellen, rechtsradikales Gedankengut zu tolerieren. Aber so wie er die Menschen behandelt und beschreibt, unterstützt er das leider im Ergebnis. Das Schlimme ist, dass sein ganzes Buch durchzogen ist von einer Ideologie der Abgrenzung. Das führt dazu, dass ein türkischstämmiger Diplomingenieur es schwerer hat, hier einen Job oder eine Wohnung zu bekommen. Es geht nicht nur darum, dass Menschen das Land verlassen, weil sie sich hier diskriminiert fühlen, sondern wir grenzen auch hier gut qualifizierte Migranten aus. Das wirklich Schäbige bei Sarrazin ist, dass er ihnen dann auch noch die Folgen vorwirft.

Sie sind damit gescheitert, schwer kriminelle Ausländer abzuschieben.

Ja, das gehört zu den Misserfolgen bundesweit und damit auch zu meinen. Jemand, der nicht bereit ist, unsere Gesellschaft zu akzeptieren, sondern hier eine kriminelle Karriere macht, der hat keine Berechtigung, hier zu bleiben. Solch Kriminelle abzuschieben, insbesondere in den Libanon und die Türkei, ist uns aber nicht immer gelungen. Ich denke deswegen, dass wir noch einmal unser Ausländerrecht ändern müssen. Menschen, die nur kurze Zeit hier sind und Straftaten begehen oder staatsgefährdend sind oder ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen hier sind, müssen so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückgebracht werden können. Das gilt aber nicht für junge Kriminelle, die hier schon als Kind lebten. Was haben die mit der Heimat ihrer Eltern zu tun? Sie haben hier ihre Sozialisation erfahren und müssen deswegen auch hier zur Räson gebracht werden.

Die Polizei ist belastet durch die lange Suche nach einem neuen Polizeipräsidenten. Welche Fehler haben Sie dabei gemacht?

Dass sich die Besetzung verzögert hat, ist bedauerlich, beeinträchtigt aber die Arbeit der Polizei nicht. Außerdem habe ich auch ohne Präsidenten eine Behördenleitung, die ganz ausgezeichnet funktioniert. Das Gericht hat uns bescheinigt, dass wir Verfahrensfehler gemacht haben, die wir inzwischen korrigiert haben. Jetzt müssen wir abwarten, wie die Klage eines unterlegenen Bewerbers ausgeht.

In dem Verfahren war der Wurm drin?

Wenn in einem solchen Verfahren erst einmal der Wurm drin ist, dann bleibt er auch drin. Das ist meine Erfahrung.

Endlos hingezogen hat sich die Kennzeichnung von Polizeibeamten. Rotierende Ziffern, wie jetzt im Koalitionsvertrag beschlossen, hätten Sie früher haben können.

Das Wichtige ist aber: Die Kennzeichnung bleibt. Wir haben sie trotz aller Widerstände von Gewerkschaften durchgesetzt. Und auch die CDU hat eingesehen, dass sie das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen kann. Die Regelung, dass die Zahlen wechseln, haben wir für die Bereitschaftspolizei den Gewerkschaften schon früher vorgeschlagen.

Sie treten ab als Innensenator. Hätten Sie weitermachen wollen?

Zehneinhalb Jahre als Innensenator sind genug. Wenn man einen politischen Job zu lange macht, gerät man in Gefahr, zu versteinern und in Routine zu erstarren. Deshalb war für mich seit einem halben Jahr klar, das ich mit dem Ende der Wahlperiode aufhöre. Ich bin neugierig genug, um mit 69 Jahren noch andere Perspektiven zu suchen.

Das Gespräch führte Gerd Nowakowski

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