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Berlin: Der Stille und die Diva

Erasure, die Veteranen des Elektropop, spielen heute in Berlin

Wenn Vince Clarke nach Berlin gefragt wird, erzählt er folgende Geschichte: 1989 spielte er mit Erasure in West-Berlin. Vor dem Konzert machte das Pop-Duo einen Abstecher in den Osten. Dort liefen den beiden ein paar Mädchen über den Weg. Sie baten aufgeregt um Autogramme. „Andy Bell und ich meinten: Wollt ihr nicht zu unserer Show kommen?“, sagt Clarke. Die Mädchen schüttelten traurig den Kopf. „Als ich nach dem Grund fragte, drucksten sie herum. Da fiel mir ein: Es geht ja diese verdammte Mauer durch die Stadt!“ Clarke lacht bitter. „Diese verdammte, große Mauer.“

Erasure treten heute Abend in der Columbiahalle auf, nach fünfjähriger Bühnenabstinenz auf Tour. Die beiden präsentieren ihr neues Album, das Lieder fremder Interpreten wie Peter Gabriel, den Righteous Brothers oder Elvis Presley versammelt. Es dürfte wie immer ein kreischend bunter Abend werden, mit Andy und Vince in Frauenkleidern, mit falschen Wimpern und Federboa. Ob sich Erasure mit diesem varieteehaften Pomp nicht an die Goldenen Zwanziger Berlins anlehnen? Mit Sally Bowles und „Cabaret“ im Geiste? „Andy stand schon immer auf Fummel“, sagt Clarke trocken. Mehr nicht. Erasure hat sich mit raffiniert simplen Diskohymnen ein großes und vor allem schwules Publikum erspielt. Kaum zu glauben, dass dieser britisch kühle Clarke Senkrechtstarter wie „Oh l’amour“ oder „Sometimes“ komponiert hat. Der 41-Jährige überlegt ausgiebig, bevor er antwortet. Erasures Musik dagegen fackelt nicht lang, sie kommt gleich zur Sache.

Clarke winkt ab, wenn er nach seinem Einfluss auf heutige Bands gefragt wird. So bedeutend sei er nicht gewesen. Dabei hat er damals, Anfang der 80er Jahre, als Songschreiber von Depeche Mode mit „Just can’t get enough“ einen Hit gelandet. Dem ließ er etwas später einen zweiten folgen: „Only You“, gesungen von Alison Moyet. Doch Yazoo, Clarkes neue Band, hielt nur kurz. Bald darauf stieß Vince Clarke per Stellenanzeige auf Andy Bell – seinen Kompagnon auf Lebenszeit, wie es scheint. Die beiden ergänzen sich offenbar bestens: Vince, der Eigenbrötler im Hintergrund, Andy, die Diva am Bühnenrand.

Vince Clarke schuf in den Achtzigern einen Sound, der jetzt leicht verfremdet und verhärtet als „Electroclash“ Furore macht. Clarke liebt Electroclash. Er hat gerade einige Zeit in New York verbracht und dort Vorreiter der Szene wie Fischerspooner erlebt. „Die sind fantastisch“, sagt Clarke, und für einen Moment klingt er richtig lebhaft. Stimmt, und Vince Clarke müsste doch wie eine Vaterfigur für dieses Genre sein, das auch Berliner Clubs beherrscht? „Ich bin von überhaupt nichts Vater“, sagt Clarke, und das Feuer in seiner Stimme erlischt wieder. Es schmeichelt ihm aber durchaus, gesteht er gleich darauf, wenn andere seine Lieder neu einspielen, wie damals die Flying Picketts „Only You“.

Erasures Cover-Album ging aus Andy Bells erstem Soloprojekt hervor. Bell stand plötzlich auf Karaoke und wollte Stücke nachsingen, die auch seinen Eltern gefallen, Buddy Hollys „Everyday“ zum Beispiel. „Andy kam im Studio nicht weiter, da habe ich ausgeholfen, so wurde doch eine Erasure-Platte daraus“, sagt Clarke. „Other People’s Songs“ ist der Soundtrack fürs Cabrio. Wer keines fährt, geht heute ins Konzert.

Columbiadamm 13-21, 21 Uhr, Eintritt: 25 Euro .

Tobias Rüther

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