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Der Tag, an dem …: ... wir Luft holen

Mitunter kann einem ja schon der Atem stocken. Man hält dann unwillkürlich die Luft an, wenn es einem nicht gleich den Atem verschlägt.

Mitunter kann einem ja schon der Atem stocken. Man hält dann unwillkürlich die Luft an, wenn es einem nicht gleich den Atem verschlägt. Das kann bei hochgradiger Spannung passieren, der Atemstillstand tritt vor Verblüffung ein, auch wenn einem Unangenehmes widerfährt oder schier Unglaubliches begegnet. Wie wäre es hiermit: Der amerikanische Aktionskünstler David Blain hat vergangenen Mittwoch in New York den Weltrekord im Luftanhalten gebrochen. Er war 17 Minuten und 4,4 Sekunden ohne Luft unter Wasser. In Worten: siebzehn Minuten und vierkommavier Sekunden. Samuel Beckett hat übrigens mal ein Theaterstück geschrieben, mit dem Titel „Atem“. Es besteht aus dem Geräusch menschlichen Atems und einem Schrei, das ganze Drama ist allerdings nur 35 Sekunden lang. Man könnte meinen, es sei ein wenig kurzatmig.
David Blaine, der wenigatmige, macht gerne mal spektakuläre Aktionen. Vor neun Jahren ließ er sich sieben Tage lang in Manhattan begraben, mit Sauerstoffzufuhr allerdings. Wer sich nur einmal an irgendeinem Strand für einen kurzen Moment, für die Zeit eines launigen Fotos, bis zum Hals hat einbuddeln lassen, weiß, dass das keine schöne Vorstellung ist, sieben Tage mit dem kompletten Körper unterirdisch zu sein. Ein Jahr später stand Blain der Sinn nach einem anderen Einschluss, 60 Stunden verharrte er eingefroren in einem Eisblock. Das möchte man sich nicht einmal für die Zeit eines dann übellaunigen Schnappschusses vorstellen. Warum macht er solche Dinge?
2003 ließ er sich 44 Tage ohne Essen in einer gläsernen Zelle aufhängen. Er nahm damals 30 Kilo ab und musste wegen Unterernährung ins Krankenhaus. Möglicherweise wollte er auf den Hunger der Welt aufmerksam machen. Gut, gut, aber die Tage im Eis, wie erklären die sich? Als Warnung vor dem Klimawandel?Dann wäre jedoch ein nicht schmelzender Eisblock ein etwas kontraproduktives Symbol. Das Begräbnis. Soll es an die Erderwärmung gemahnen, an die Vergänglichkeit allen Seins, an die Isolation des Individuums, soll es die Verschwundenheit des Menschen von der Erde heraufbeschwören oder im Gegenteil, an seiner Auferstehung, die Erde ist fruchtbar noch, aus der er kroch? Man weiß es nicht.
Nicht, dass alles einen Sinn und Zweck haben muss, aber gute Güte, 17 Minuten und 4,4 Sekunden unter Wasser, ohne Luft, ohne einmal einzuatmen, wer macht denn so etwas? Gewiss, der Mensch lebt nicht allein von Luft und Liebe, aber doch nur mit Luft und Liebe. Ohne das geht es doch nicht. Und deswegen jetzt alle: einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen. (uem)

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