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Berlin: Der Tod muss warten

Langer Abschied vom Palast der Republik: Die letzte Ausstellung darf noch etwas bleiben

Eigentlich sollte gestern die makabere Darbietung im Leichenschauhaus des Palasts zu Ende sein. Zum Abschluss der Kunstausstellung „Fraktale IV“ wollten sie sein Fell versaufen, mit einer Finissage den letzten Akt beschließen und begießen, weil nun alles in Trümmer fällt – der Mensch allein schwingt sich auf, mutwillig das Werk seiner eigenen Hände zu zerstören: „Rückbau“ nennt man das, aber wir wollen es beim Namen nennen: In 60 Tagen wollen sie ihn abreißen, den Palast der Republik. Aber zuvor wird die letzte Kunstausstellung des großen Erfolges wegen verlängert – bis 19. November. Galgenfrist für die „Fraktale“-Schau zum Thema Tod, passgenau zu dieser Art aktiver Sterbehilfe. Wir haben vor ein paar Tagen noch einmal den Patienten in seinem Siechbett besucht, er dämmert positiv geladen vor sich hin, sein neuer Zustand passt ins eventgierige Gemeinwesen, die Metamorphose vom staatstragenden Kulturhaus der Werktätigen zur Kunsthalle mit schräger Party-Lounge ist so überraschend wie gelungen.

Die erfolgreiche Kommunikationsagentur We Do hatte zu einer Ausstellungs-Besichtigung samt Empfang in den Palast geladen, der Geschäftsführer Gregor C. Blach freute sich, „dass wir mit unserer Unterstützung dazu beigetragen haben, dass die Ausstellung zum Thema Tod nicht einen solchen sterben musste“. Aufgeschoben ist indes nicht aufgehoben, der Tod wartet schon, er hängt von der Decke herab, lauert an den weißen Wänden eines zehn Meter hohen Saales, oder er schwimmt in einem Fluss, wo ein menschlicher Kopf ohne Rumpf egalweg singt: „Ich freue mich auf meinen Tod“, also die Bach-Kantate „Ich habe genug“. „Huch!“, ruft eine hochhackige Blondine und schwenkt ihr Sektglas, „huch, so würde ich meiner Tochter den Tod erklären.“ Das alles im einstigen Saal der Volkskammer, der zum Gerippe abgemagert ist.

An irgendeiner Stelle der Todesschau tauchen plötzlich aus dem dunklen Märchenwald DDR in der Erinnerung des Schreibers Bilder von damals auf: dieses Foyer mit seinen Ledersesseln und den duftenden Blumen, die Restaurants mit dem Blick rüber zum Dom, die Batterie offener Zellen, von denen es sich leichter als anderswo nach dem Westen telefonieren ließ, das Theater, der große Saal, die Rolltreppen, das Weinrestaurant, die Bars, nicht zu vergessen den Schweden-Becher mit Vanilleeis, Eierlikör, Apfelmus und Sahne. Ja, die Republik war hin und wieder sogar Sahne, denn sie hatte auch Kühe samt Bauern im Arbeiter-und-Mauern-Staat.

Und jetzt liegt zersplittertes Glas in kleinen Bröckchen zwischen den Fenstern, wir starren auf Stahlträger, die so stark sind, als sollten S-Bahnen über diese Brücken fahren, „Fikt Broiler“, hat jemand in roter Farbe auf das Eisen gemalt, „FC Bayern Münich“, multikultureller Abraum. Ährenlos, hammerlos, zirkellos hängt nun da oben der stählerne Ring, der das einstige Staatswappen zusammenhielt, nun ist das nur noch hochwertiger Schrott wie die Stahlträger, an die man sich lässig lehnt, wenn der gemütliche Teil der Todesshow erreicht ist – die Empfangs-Lounge mit DJ unter einem mickrigen Kronleuchter und einer Disco-Kugel an der Decke. Hier gibt es schön geschminkte Frauen, Männer mit schwarzen Klamotten, sie trinken Bier oder Merlot, alles ist züchtig, obwohl mehrere Ottomanen mit breiten Kissen zum Kuscheln laden. Jeder ist mit jedem beschäftigt, sie reden über Geschäfte und wer denn nun in der Regierung die Kultur macht. Wer Lust auf frische Luft hat, kann auf die Balustrade treten, auf den trüben Schlossplatz gucken und Abschied nehmen, denn diesen Blick wird es erst wieder geben, wenn wir um Jahrzehnte gealtert sind – der Bau soll, wie einst das Schloss, dem Erdboden gleichgemacht werden. So haben es ziemlich ahnungslose Volksvertreter beschlossen. Auf dem Tresen liegt das Unterschriftenblatt einer „Initiative Palastretter“, Architekten aus Ost und West, die fordern „eine offene Diskussion über die Nutzung des Schlossplatzes und einen Aufschub des Palastabrisses, bis ein inhaltlich überzeugender Vorschlag vorhanden ist.“ Das scheint logisch, wenn man gerade aus der stärksten Kunsthalle der Bundeshauptstadt gekommen ist, die ersatzlos weggekarrt werden soll, um einer kleinen Grünanlage Platz zu machen und irgendwann einem anderen Gebäude. Bis dass der Tod uns scheidet.

In all dem Gewusel des Empfangs steht plötzlich der Oberbaumeister, der am 23. April 1976 mit einem Tänzchen seinen Lampenladen eröffnet hatte, im Raum, Erich Honecker ist auferstanden, man hat ihn, fast lebensgroß, als Foto auf eine Folie gezogen, es ist das Bild, das sie gemacht haben, als E. H. das Gericht verließ, die Hand zur Faust geballt, trotz alledem. „Wer issn das hier?“, fragt einer. „Dem gehörte mal diese Disco“, sagt der andere, „hat wohl irgendwie Pleite gemacht.“

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