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Berlin: Der Traum vom "Woyzeck"

Der Hang zur Bühne liegt in der Familie: Einer seiner Brüder lernte Schauspiel an der Hochschule der Künste, der andere arbeitet im Istanbuler Theaterbetrieb. Bei Mürtüz Yolcu hingegen fing alles ganz anders an.

Der Hang zur Bühne liegt in der Familie: Einer seiner Brüder lernte Schauspiel an der Hochschule der Künste, der andere arbeitet im Istanbuler Theaterbetrieb. Bei Mürtüz Yolcu hingegen fing alles ganz anders an. Er studierte Sozialarbeit. "Mir hat das viel gebracht", sagt er und lässt den Blick über die leere Bühne schweifen, "denn für einen Schauspieler ist es wichtig, Menschen zu beobachten, um sie später spielen zu können". Die halbe Stelle in der Ausländerberatung, die er bis zum vergangenen Jahr hatte, war dafür ideal - jeden Tag kamen "aus dem Leben gegriffene Charaktere" zu ihm, und er hörte ihre Geschichten und beobachtete. Mittlerweile allerdings hat sich der 39-Jährige von der Sozialarbeit verabschiedet, um seine Zeit ganz dem Theater zu widmen.

Der in der Türkei geborene Yolcu gehört zu denen, die 1980 die erste türkische Theatergruppe in Berlin ins Leben riefen. Der Zufall hatte damals seine Finger im Spiel: Es war Yolcus Deutschlehrer - ebenfalls ein Türke -, der die Idee zu dem Ensemble hatte. "Damals bestand unser kulturelles Leben hier noch vor allem aus drei Dingen: Folklore, Bauchtanz und Videofilme", erzählt Yolcu. Die Arbeit der kleinen Theatertruppe stieß auf reges Interesse, eine zweite Gruppe folgte dem Beispiel der Pioniere. Vor 16 Jahren war Yolcu dann auch dabei, als das "Tiyatrom" Premiere feierte. Mittlerweile ist Berlins bislang einziges türkisches Theater eine Institution in der Stadt geworden - übrigens nicht nur für Türken. Denn Theater, findet Yolcu, lebt von seiner universellen Sprache, und die Stücke im "Tiyatrom" sind für ein breites Publikum gedacht: "Bei den Proben denke ich an beide Zuschauer", sagt er, "den türkischen ebenso wie den deutschen." Seit vier Jahren organisiert Yolcu auch das Kreuzberger Theaterfestival "Diyalog" mit, bei dem nicht nur türkische, sondern etwa auch russische und indische Theatergruppen auftreten.

Ein bisschen, meint er, müsse man das Theater schon im Blut haben. Aber er ist auch damit aufgewachsen. Yolcu ist im östlichsten Zipfel der Türkei groß geworden. Hier, am Fuße des Bergs Ararat, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Armenien und Iran, lebt ein buntes Völkergemisch.

Irgendwann, träumt Yolcu, würde er gerne einmal den "Woyzeck" spielen - Georg Büchners tragischer Protagonist, dargestellt von einem Berliner Türken mit langen Haaren. "Ich mag das Stück sehr", sagt er, "und von Theaterstücken, die mit der Ausländerproblematik zu tun haben, habe ich die Nase voll." Hin und wieder hatte er auch Engagements im Fernsehen, beispielsweise in der Krimiserie "Ein Fall für Zwei". "Aber da ist die Figur immer schon vorgegeben - du spielst immer den eifersüchtigen Ehemann oder den Drogenhändler." Gerne würde er den Spieß einmal umdrehen, sagt er: "Wenn ich einen Film drehen würde, würde ich einen Deutschen als Dönerverkäufer hinter die Theke stellen - das ist doch genauso absurd."

Jochen Metzler

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