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Berlin: Der Unterwelt-Spion

Hermann Raasch forscht nach Lecks im Berliner Rohrnetz. Er nutzt Hightech – aber manchmal auch die Wünschelrute

Er forscht nach Brüchen, die das Leben mit sich bringt. Sie sind schwer zu erkennen, können aber schlimme Folgen haben. Deshalb hat der 56–jährige Hermann Raasch so viel Verantwortung. Er braucht Spürsinn, ein gutes Ohr und auch ein scharfes Auge. Er ist ein Spion, ein Detektiv der Berliner Unterwelt.

Wie ein Detektiv hat Hermann Raasch ein Büro, in dem er viel telefoniert, Aufträge entgegennimmt, Einsätze vorbereitet, am Computer sitzt, Filme und Messdaten auswertet. Auch das gehört zu seinem Beruf, wie die Liebe zum Wasser.

Seine Dienstadresse klingt nüchtern: Rohrnetzbetriebsstelle Lichterfelde, Bogenstraße. Fünf davon gibt es in Berlin, seine betreut ein Trinkwasserrohrnetz, das so lang wie das in München ist.

Raasch hat einen Monitor, auf dem er Geheimnisvolles sieht – immer wieder spannende Reisen durch die Unterwelt, die Fahrten durch einen langen U-Bahntunnel ähneln. Mal geradeaus, mal in leichter Kurve, mal aus dieser, mal aus jener Perspektive. Der Experte steuert durchs Erdreich, kann trotz tiefster Dunkelheit alles sehen, etwa, ob Wasser in den Rohren ist oder nicht. Eine rollende, funkgesteuerte Kamera macht es möglich. Hält er die Fahrt an, hat er was Auffälliges entdeckt. Eine verkrustete Stelle, einen Riss, ein Leck. Der Mann ist Teamchef der fünfköpfigen Truppe, die das Trinkwassernetz im Auge behält, Kameras durch Rohre laufen und Lecks orten lässt.

Zu den Einsatzorten – oft zur Vorbeugung von Schäden, wie kürzlich an der Carstennstraße in Lichterfelde – fährt die Truppe in einem Transporter voller Messgeräte und Monitore. Ist ein Hydrant geöffnet, wird ein dosenförmiger Computer angeschlossen, der Geräusche in den Rohren ermittelt und vergleicht. Gemessen wird überwiegend nachts, wenn es draußen still ist. Die Dose ist voller Elektronik, ähnlich einem Flugschreiber im Flugzeug. Sie hört das unterirdische Leben ab, achtet darauf, wie sich Schall ausbreitet, registriert Laute, die durch Lecks und Risse entstehen.

Bei der Gelegenheit inspiziert das Team die jeweiligen Hydranten, damit sie auch funktionieren, wenn die Feuerwehr sie zum Löschen braucht. Raasch und seine Leute werden oft vom Entstörungsdienst angefordert, wenn dem die Zeit fehlt, Schäden zu orten. Die Leck-Spezialisten können zielgenau angeben, wo ein Rohrbruch ist. „Luft in der Leitung ist das Schlimmste, was passieren kann“, sagt Raasch. Dann breitet sich der Schall nicht recht aus, dann muss die Luft aus den Rohren gespült werden. „Sehen und Hören sind entscheidend.“ Schlimm für die Schall-Diagnose ist auch, wenn ein Rohr in der Mitte durchgebrochen ist. Und merkwürdig ist, was in den Rohren so alles gefunden wird: Werkzeuge, sogar China-Böller – vermutlich in Baugruben gefeuert und auf verschlungenen Wegen ins Rohrnetz gelangt. Früher musste viel Straßenland aufgegraben werden, um nach Schäden zu suchen. Jetzt lassen sich Schäden punktgenau ermitteln. Raasch ist Elektronikfachmann, bevor er 1974 zu den Ost-Berliner Wasserbetrieben ging, war er Funk- und Fernmeldeanlagentechniker.

Statt Hightech kommen mitunter zwei Schweißdrähte zum Einsatz, und das Team hält sie vor sich wie Wünschelruten. Denn auch die alte Methode hilft, erfolgreich nach Wasseradern zu suchen.

„Wasser ist ein Lebensmittel, und mit Sorgfalt zu behandeln. Das Berliner ist das beste in Europa“, sagt Raasch stolz. Dass jährlich nur fünf Prozent durch Lecks verloren gehen, ist ein sehr guter Wert. Und auch ein Verdienst des Unterwelt-Spions.

Christian van Lessen

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