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Berlin: Der verlassene Staatssitz

Von Stefan Jacobs Nein, sie sagen nichts. Eher würden sie sich die Zunge abbeißen, als laut darüber nachzudenken, ob die geplante private Wirtschaftshochschule von Thyssen, Telekom und Co.

Von Stefan Jacobs

Nein, sie sagen nichts. Eher würden sie sich die Zunge abbeißen, als laut darüber nachzudenken, ob die geplante private Wirtschaftshochschule von Thyssen, Telekom und Co. bei ihnen einziehen soll. Vier Mann sind sie, die das ehemalige Staatsratsgebäude in Schuss halten. Einer von ihnen hat schon Erich Honecker hier erlebt, und Gerhard Schröder ist ja erst vor einem Jahr ins neue Kanzleramt gezogen.

Seitdem müssen die Haustechniker auch aufpassen, dass bei Veranstaltungen niemand dem denkmalgeschützten Inventar etwas zu Leide tut. Und wenn das Haus geschlossen ist, sind sie mit Besucherabwehr beschäftigt: Etwa alle drei Minuten rüttelt jemand an der Tür, der gern einen Blick in das haushohe Foyer mit dem gläsernen Arbeiter- und Bauernmosaik auf der Rückseite werfen würde. So wie der Tourist aus Süddeutschland, der gerade den Haustechnikern auf der Schwelle erklärt, „dass das hier doch das alte Rathaus ist“.

Die gelupfte Tür lockt weitere Passanten an und führt schließlich zu einer Debatte über Stadtschloss, Scheidemann und die Republik. Dann schließen sich die Haustechniker wieder ein und bleiben mit dem Rauschen der Klimaanlage allein.

„Wir haben hier ungefähr 25 Klimaaggregate. Die sind von 1964 und funktionieren noch“, sagt einer. Fast alles im Staatsratsgebäude ist von 1964 und funktioniert noch. 45 Millionen Mark soll der Bau damals verschlungen haben. Dafür wölben sich edle Kirschholzpaneele an den Wänden; die akustisch wertvollen Wandverkleidungen sind ebenso intakt wie die Vorhänge, und selbst der hackfleischfarbene Originalteppich im Kinosaal hat sich gut gehalten.

Hier also will die Managerschmiede rein, heißt es. Genaueres wollen die Initiatoren zwar erst an diesem Montag bekanntgeben. Aber die Adresse „Staatsratsgebäude, Schlossplatz 1“ könnte einer „Elite-Uni“ durchaus angemessen sein. Das gilt auch für die Säle, in denen zwar ohne Zustimmung der Denkmalschutzbehörden kein Loch in die Wand gebohrt werden darf, die aber schon jetzt als Vorlesungssäle vorstellbar sind.

Gut, es gibt keine Steckdosen für Laptops, und die roten Sessel eignen sich eher für gemütliche Berieselung als für konzentrierte Seminare. Aber dafür sind die Räume großzügig und die Flure breit. Und der sozialistische Zierrat – im Bankettsaal ein Fries aus Meißner Porzellanfliesen mit jungen Pionieren, wogenden Feldern und sowjetischen Brüdern, im Staatsratssaal ein wandhoher Aluminiumschmuck mit Ähre, Kraftwerksschlot und Friedenstaube – diese Verzierungen also beeinträchtigen die Funktion nicht, sondern würzen nur die Atmosphäre.

Zurzeit wird das bundeseigene Gebäude von Oberfinanzdirektion (OFD) und Bundesvermögensamt (BVA) für Ausstellungen, Vorträge oder kommerzielle Feiern vermietet. „Es ist ein Renner“, sagt OFD-Sprecher Helmut John, „trotz rigider Bedingungen“. Beispielsweise darf bei Techno-Partys die Musik nicht zu weit aufgedreht werden, damit der Beat nicht die Scheiben aus den Rahmen drückt. Das BVA berichtet von einer schwarzen Null bei den laufenden Kosten – dank der vielen Vermietungen.

Weit weniger prominent als das markante Gebäude mit dem Stadtschloss-Portal ist der Trakt, den die Haustechniker „Bauteil 2“ nenen. Der mit dem Hauptgebäude verbundene Plattenbauriegel an der Breiten Straße entstand ebenfalls in den 60er Jahren und beherbergt momentan eine Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes (BND), die Anfang nächsten Jahres nach Lichterfelde ziehen soll.

Dann wäre auch in diesem Gebäudeteil Platz, an dessen verwitterter Fassade noch ein Klingelschild mit der Aufschrift „Bundeskanzleramt“ hängt. Welche Flächen der BND nutzt, verschweigt die Oberfinanzdirektion – aus Sicherheitsgründen. Aber der OFD-Sprecher hat beide Gebäudeteile im Katalog: 10 000 Quadratmeter, 3700 davon Büros, verteilt auf 165 Räume. Dazu drei Sitzungsräume, zwei Säle à 290 Quadratmeter, einer mit 540 und einer mit 580 Quadratmetern. Dazu das Kino und ein „repräsentatives Arbeitszimmer“. In dem 180-Quadratmeter-Raum stand Honeckers Schreibtisch. Gerhard Schröders Arbeitszimmer war deutlich kleiner und an der Frontseite des Gebäudes gelegen, weshalb zusätzliche, schusssichere Fenster eingebaut wurden.

Honecker dagegen schaute durch getöntes Glas auf den Garten. „Auf den ist die Uni scharf“, sagt OFD-Sprecher John. Tatsächlich gehören zum Grundstück mehrere tausend Quadratmeter, auf denen sich ein Idyll aus Rasen, Gänseblümchen, Linden und einem – oh ja – sprudelnden Brunnen ausbreitet. Seit 1999 ist der Garten von einem Weg am Spreekanal aus einzusehen. Nur hinein kommt man meist nicht. Höchstens als Besucher einer Veranstaltung im Staatsratsgebäude. Ansonsten schicken die Haustechniker höflich jeden weg, der Einlass begehrt.

Die Schlossplatz-Kommission hatte eine öffentliche Nutzung des Gebäudes empfohlen. Denkbar wäre auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die Gefallen an der Immobilie gefunden hat und sie gerne vielfältig kulturell nutzen würde, gäbe es da nicht den Plan mit der Managerschule. Der Senat hat darüber gestritten, Mitte Mai will sich der Bundestagsausschuss „Bund und Neue Länder“ damit befassen. Bis dahin sagen die Haustechniker nichts. Sie zeigen nur auf Passanten, die sich an der Glastür die Nase platt drücken und sagen: „So geht das hier jeden Tag.“

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