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Berlin: Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde über seine Arbeit und die Gründe, nicht mehr zu kandidieren

Andreas Nachama will nur noch ein Jahr als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde amtieren. Als der promovierte Historiker und Judaist im Juni 1997 gewählt wurde, ließ er seinen Posten als Direktor des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors ruhen.

Andreas Nachama will nur noch ein Jahr als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde amtieren. Als der promovierte Historiker und Judaist im Juni 1997 gewählt wurde, ließ er seinen Posten als Direktor des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors ruhen. Jetzt plant der 48-Jährige, auf diese Stelle zurückzukehren.

Herr Nachama, Sie haben vor gut einer Woche angekündigt, nicht wieder für den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde kandidieren zu wollen. Sie kehren in einem Jahr auf ihre Stelle als Direktor des Dokumentationszentrums Topographie des Terrors zurück. Amtsmüde Politiker werden in der Regel aufgefordert, gleich den Weg frei zu machen. Wurden Sie schon zum Gehen aufgefordert?

Nein, ich bin auch nicht amtsmüde. Dass ich nur vier Jahre amtiere, war von vornherein klar. Daran jetzt noch einmal zu erinnern, ist nur fair und keinesfalls verfrüht. Am 18. März 2001 wird gewählt, was bedeutet, dass der Wahlkampf nach der Sommerpause beginnt. Ab sofort können sich die Kandidaten auf ihre Aufstellung vorbereiten, Bündnispartner suchen.

In der letzten Repräsentantenversammlung (RV) haben Sie Ihrem Überdruss an den schwerfälligen Entscheidungsprozessen Luft gemacht und empfohlen, möglichst wenige der alten Repräsentanten wiederzuwählen. War das eine Bankrotterklärung des Gemeindeparlaments?

Ich habe das mit Seitenblick auf die RV-Mitglieder gesagt, die schon sehr lange dort sitzen. Da hat sich eine Art Funktionärsclique gebildet. Außerdem will ich in den mir verbleibenden 11 Monaten noch eine Strukturreform initiieren: Weniger Vorstandsmitglieder und eine teilweise Rückkehr zur Listenwahl. Die derzeitige RV ist aus einer reinen Personenwahl hervorgegangen, in den Ausschüssen sitzen Repräsentanten und Gemeindemitglieder als Deputierte ohne Bindung an eine Wählergruppe und sprechen nur für sich. Deshalb dauern RV-Sitzungen so lange, denn alles in den Ausschüssen Empfohlene muss nochmal erörtert werden.

Sie sind vor knapp drei Jahren als Hoffnungsträger angetreten, als unabhängiger Vertreter der Nachkriegsgeneration, der zerstrittene Gemeindeklüngel auflösen und mehr Brücken zum nicht-jüdischen Berlin schlagen sollte. Was haben Sie erreicht?

Ich habe unterschiedlichste Strömungen an einen Tisch gebracht, die ganz große Koalition geschaffen. Ich betrachte mich mehr als Koordinator, denn als großer, autoritärer Vorsitzender. Es gab Dinge, die gemacht werden mussten, und die haben wir auch vollbracht: Die Konsolidierung des Gemeindehaushalts, die Härtefallregelung für Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, denen der Nachzug zu bereits hier lebenden Angehörigen offiziell gestattet wurde. Und wir haben mit dem Senat die Sicherheitsfrage (Übernahme der Kosten für Baumaßnahmen und für zusätzliche israelische Wachschutzmänner; die Redaktion) vertraglich geregelt.

Gerade die Beschäftigung der Israelis ist ja in der Öffentlichkeit heftig umstritten.

In der Gemeinde ist jedenfalls die überwiegende Mehrheit dafür. Die jungen Israelis sind optimal ausgebildet. Trotzdem habe ich die Sache zunhächst als schwieriges Erbe von meinem Vorgänger Jerzy Kanal empfunden. Ich konnte mit der Position von Heinz Galinski, dass der Schutz der Jüdischen Gemeinde selbstverständlich Sache unserer Berliner Polizei ist, gut leben. Aber die Gemeinde und auch die Innenverwaltung haben mich davon überzeugt, dass die Israelis gebraucht werden.

Ihre Rolle als Mahner haben Sie ja eher von Heinz Galinski geerbt. Sie werden stets gefragt, wenn es um rechte Gewalt geht. Wie oft haben Sie gesagt, in Deutschland sei das Eis über dem braunen See dünn, es könne noch immer leicht brechen. Ist es dicker geworden?

Ja, das dünne Eis ... Ich mag meine eigenen Zitate nicht mehr. Ein Teil der Mahnungen verhallt wirkungslos, das muss man als gottgegeben hinnehmen. Aber ich habe auch einiges bewirkt: Beispielsweise argumentierte ich in einem Tagesspiegel-Kommentar mit der Einladung der Hugenotten nach Berlin gegen Rüttgers Kinder-statt-Inder-Parolen. Das wurde von CDU-Politikern aufgegriffen - also hatte es sich gelohnt, diesen Kommentar zu schreiben.

Ein Prüfstein wären ja auch die NPD-Aufmärsche im Zentrum Berlins. Sie fordern, dass diese Partei als verfassungsfeindliche Vereinigung verboten wird. Aber bislang ist nichts passiert.

Ich bin Innensenator Werthebach dankbar dafür, dass der Verfassungsschutz die Beobachtung der rechtsradikalen Szene auch auf meine Anregung hin verschärft hat. Jetzt sollte man genau hinsehen, ob die gesammelten Erkenntnisse der gerichtlichen Überprüfung standhalten, wenn es um das Verbot der NPD geht.

Trotzdem: Sie wirken seit ihrer Rückzugserklärung erleichtert.

Es ist eben eine gute Situation, mit Autorität zu sagen: Hört zu Leute, ihr sucht euch bitte jemand anderes.

Seit einigen Monaten geistert das Gerücht durch die Gemeinde, sie wollten sich vom öffentlichen Engagement zurückziehen, um als Rabbiner zu amtieren. Es hieß sogar, sie hätten die Entlassung des liberalen Rabbiners Walter Rothschild betrieben, um sein Nachfolger zu werden.

Das ist Quatsch, dieser Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen. Ich kann mir im Augenblick nicht einmal vorstellen, als seelsorgender Kanzelrabbiner tätig zu sein. Allerdings betreibe ich seit zirka 10 Jahren an amerikanischen Fernuniversitäten ein Rabbinerstudium. Religiöse Bildung, Diskussionen um den richtigen Weg zu Gott - mit Leuten, die das professionell betreiben - das war immer ein Teil meines Lebens. Nebenbei habe ich in den 70er und 80er Jahren in Berlin stationierte US-Soldaten seelsorgerisch betreut. Jetzt steht erst einmal fest: Ich kehre auf meinen Posten als Leiter der Topographie des Terrors zurück.

Die Topographie ist ja jetzt wegen der explodierenden Neubaukosten in Schwierigkeiten. Müssten Sie nicht sofort einspringen, um das Dokumentationszentrum zu retten?

Im Moment ist der Architekt gefragt. Peter Zumthor muss sicherstellen, dass sein Entwurf baubar wird. Ich werde mich dann den Realisationsproblemen zuwenden. Schon jetzt arbeite ich als Historiker in der Kommission, die den Ort der Information für das Holocaust-Mahnmal mit Inhalten füllen soll.

Bedroht nicht gerade das Mahnmal-Projekt die Existenz der Topographie?

Im Gegenteil: Konkurrenz belebt das Geschäft. Der Ort der Information dokumentiert die Ermordung der europäischen Juden, die Topographie des Terros zeigt, was Gestapo und Reichssicherheitshauptamt in der deutschen Bevölkerung bewirkt haben: Die Verfolgung von SPD und KPD, von Sinti und Roma, von Homosexuellen und von Juden. Wo es sich überschneidet, müssen wir eine überzeugend andere Darstellungsform wählen. Mit Andreas Nachama sprach Amory Burchard.

Mehr dazu im Internet:

www.hagalil.com/brd/berlin/

www.meinberlin.de/nachama

Herr Nachama[Sie haben vor gut einer Woche angek&]

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